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Uraufführung des Fassbinder-Stücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ in Frankfurt, 5. Juni 1971

Das Theaterstück „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von Rainer Werner Fassbinder (1945–1982) erlebt in Frankfurt am Main seine Uraufführung. Das kammerspielartige, in fünf Akten aufgebaute Stück beschreibt die lesbische Beziehung zwischen der erfolgreichen Modedesignerin Petra von Kant und der mittellosen Karin, die die Gunst der Modeschöpferin für ihren eigenen Aufstieg ausnützt. Auf der Grundlage des Theaterstücks entsteht im Januar 1972 ein gleichnamiges Filmdrama, das am 25. Juni 1972 bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin zum ersten Mal gezeigt und für einen „Goldenen Bären“ nominiert wird. 1973 erhält die Verfilmung drei Bundesfilmpreise in den Kategorien Beste Schauspieler (2x) und Beste Kamera.

Das im Rahmen der in Frankfurt zum vierten Mal abgehaltenen „Woche des experimentellen Theaters“ („Expérimenta 4“) am Samstag, den 5. Juni 1971 vom Landestheater Darmstadt im Kammerspiel der Städtischen Bühnen uraufgeführte Stück des deutschen Renommier-Autors Fassbinder erhält in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am darauffolgenden Dienstag eine durchwachsene Kritik: „Schon im Titel mokiert sich der Autor über das, was er darstellt: das Liebesleid einer erfolgreichen Modezeichnerin, deren Mann fort ist, die sich an den schönen Leib des kleinen Luders Karin Thimm (Elisabeth Gassner) heranschmeichelt und -tränt, sich aber schmerzlich allein gelassen, am Ende wieder mit ihrer herumgestoßenen Bediensteten Marlene (Irm Hermann, 1942–2020) begnügt. Ein Leben aus einem rosa Plüsch-Salon, dem Michael Goden durch seinen Entwurf jene Kitsch-Süßigkeit gab, die Faßbinder meint. Unterhaltung mit der Verlogenheit, mit dem künstlich dramatisierten Nerven-Theater – der urige Faßbinder muß daran seine Freude haben. Jedoch erreichten weder die Texte noch die Regie von Peer Raben jene zweite Ebene, von der aus die gezeigte Trivialität als Gegenstand der Betrachtung und des Vergnügens bedeutsam wurde. Die Träne auf dem Titelblatt des Programmheftes wurde manchem zur Träne über den Weg Faßbinders in die Selbstausbeutung, der nun Züge mancher seiner Produktionen in den Kitsch, in die Trivialisierung auch in dem Stück nicht mehr aufhalten konnte, indem er diesen Zug selber zum Thema machte. Auch der Regisseur Peer Raben mußte die Erfahrung machen, daß Trivialmotive die Antriebe zu ihrer Darbietung ebenso verschlingen wie auf der anderen Seite Formalspielereien die durch sie dargebotenen Inhalte. Die Verpflichtung der Margit Carstensen für die Hauptrolle der Petra von Kant führte nicht dazu, Faßbinders Vorhaben durch das Talent einer Schauspielerin, Situationen und Figuren zu brechen, zu meistern. Frau Carstensen spielte fast nur die Krise ihrer selbst, die zunehmende Hysterie, die zunehmende Verkrampfung und Besonentierung über ihr Können, und dies nun schon bis an jene Grenze, an der sie auch das darstellerische Können der Edith Clever (an der sie in Bremen sich bildete) desavouiert. – Trotzdem: der Abend (erarbeitet im Darmstädter Landestheater) bleibt als merkwürdiges Arrangement im Gedächtnis, wenngleich er in seiner Motivation rätselhaft ist und ‚nichts Neues‘ beschrieb. (Günther Rühle)“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.6.1971, S. 12)

(KU)

Belege
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.6.1971, S. 12: Die Träne rollt vom Titelblatt: Am Ende der „Experimenta 4“ in Frankfurt / Einzelheiten und mehr
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Uraufführung des Fassbinder-Stücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ in Frankfurt, 5. Juni 1971“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2683> (Stand: 5.6.2023)
Ereignisse im Mai 1971 | Juni 1971 | Juli 1971
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