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Neugliederungsgutachten des Luther-Ausschusses hebt wirtschaftliche Stärke Hessens hervor, 2. September 1955

Der Sachverständigen-Ausschuss für die Neugliederung des Bundesgebietes („Luther-Ausschuß“) legt sein Gutachten1 über die Neugliederung der Ländergrenzen vor. Der Ausschuss war am 15. Januar 1952 von der Bundesregierung eingesetzt worden, nachdem die CDU/CSU-Fraktion am 9. Mai 1951 einen Antrag eingebracht hatte, mit dem die Bundesregierung ersucht wurde, einen Sachverständigenausschuss zur Erörterung und Planung einer den Erfordernissen des Grundgesetz-Artikels 292 Rechnung tragenden Neugliederung des Bundesgebietes einzusetzen (BT-Drs. Nr. I/2222).3 Vorsitzender des Ausschusses ist der ehemalige, 1925 bis 1926 amtierende Reichskanzler Hans Luther (1879–1962), der bereits dem am 6. Januar 1928 in Berlin gegründeten und bis 1933/34 existierenden „Bund zur Erneuerung des Reiches“ (Luther-Bund) als Vorsitzender (und Namenspatron) angehörte.

Frage nach der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit und kulturellen Integrität der Bundesländer

Als Hauptauftrag oblag dem Ausschuss die Aufgabe, bezugnehmend auf die territorialen Verhältnisse der einzelnen Bundesländer deren innere kulturelle Integrität und wirtschaftliche „Lebensfähigkeit“ zu überprüfen, und – falls nötig – aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sich für eine Neugliederung daraus ergeben. Ein Auftrag zur Erarbeitung gesetzgeberischer Vorschläge wurde dem Ausschuss allerdings nicht erteilt, sodass die Bundesregierung anhand der ihr nun vorliegenden Erkenntnisse eigenständig über tatsächliche Konsequenzen für einen Gesetzesentwurf zur Neugliederung der Länder zu entscheiden hat.4

Keine umfassende Länderneugliederung erforderlich

In Bezug auf Hessen hebt das Gutachten die ausgesprochene Finanz- und Wirtschaftskraft des Landes hervor. Alles in allem schließt das Gutachten mit der Erkenntnis, das die bestehenden Länder der Bundesrepublik Deutschland ausnahmslos „lebensfähige“ territoriale Einheiten darstellen, von denen freilich aber nur wenige die vier Richtlinien des Artikel 29, Abs. (1) des Grundgesetzes5 erfüllen. Vor diesem Hintergrund stellt die Denkschrift insgesamt sieben Vorschläge für eine Neugliederung des mittelwestdeutschen Raumes zur Wahl,6 bei der sich die mögliche Neugruppierung auf die Länder Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern beschränkt. Eine umfassende Länderneugliederung hält die Gutachterkommission jedoch nicht für erforderlich.7
(OV/KU)


  1. Die Neugliederung des Bundesgebietes. Gutachten des von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenausschusses, hrsg. vom Bundesminister des Innern, Bonn u. a. 1955.
  2. Vgl. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, II. Der Bund und die Länder (Art. 20–37), Art. 29, Abs. 1: „Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, daß die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dabei sind [1.] die landsmannschaftliche Verbundenheit, [2.] die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, [3.] die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie [4.] die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen.“
  3. Vgl. Bundesarchiv: Online-Version der Edition „Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung“: Kabinettsprotokolle 1951: Protokoll der 151. Kabinettssitzung am 5. Juni 1951: 4. Neugliederung des Bundesgebietes; Aufhebung der Suspension des Art. 29 GG, BMI (eingesehen am 4.9.2012).
  4. Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei dieser Entscheidung ist neben der Leistungsfähigkeit der bestehenden Bundesländern (dargelegt in den Ergebnissen der Untersuchung des Luther-Ausschusses) auch der Bevölkerungswille, der – im Frühjahr 1956 durch verschiedene Volksbegehren zum Ausdruck gebracht – ebenso wie die (wenigen) Korrekturempfehlungen des Gutachtens allerdings nur wenig Einfluss auf die Weichenstellungen der Bundesregierung nehmen wird. So ist zum Beispiel das Bundesland Rheinland-Pfalz 1955 und 1956 von kritischen Feststellungen des Luther-Ausschusses und Änderungswünschen der Bevölkerung verhältnismäßig stark betroffen, eine Weiterverfolgung der Neugliederungsfrage wird jedoch aus deutschland- und europapolitischen Rücksichtnahmen heraus um zwei Jahrzehnte verschoben. Vgl. Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, landeshauptarchiv.de: Landesgeschichte im Archiv > Blick in die Geschichte > Archiv (nach Erscheinungstag): Vor 50 Jahren: Der 2. September 1955. Luther-Gutachten zur Länderneugliederung (eingesehen am 4.9.2012).
  5. Vgl. Anm. 2.
  6. Vgl. DER SPIEGEL 50/1955, 7.12.1055, S. 12-16: Neugliederung/Bundesländer: Es bleibt, wie es ist, hier: S. 15 (eingesehen am 4.9.2012).
  7. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.9.1955, S. 1.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Neugliederungsgutachten des Luther-Ausschusses hebt wirtschaftliche Stärke Hessens hervor, 2. September 1955“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1054> (Stand: 3.3.2021)
Ereignisse im August 1955 | September 1955 | Oktober 1955
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