Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918

Abschnitt 13: Rückzug der Einheit zur Aisne

[18-19] Rückzug zur Aisne

Erst gegen 8 Uhr dröhnten am Morgen des 9. September die ersten Schüsse der Artillerie. Gegen 9 Uhr fuhren die ersten Granaten krachend in die 1. Kompagnie. Es gab Verluste an Toten und Verwundeten. Die bisher östlich heraus gezogene Kompagnie zog sich nun näher an das Bataillon heran, das um 10 Uhr gemeinsam mit 1)^ Kompagnien sächsischer Schützen und 1 Kompagnie sächsischer Leibgrenadiere eine Ausnahmestellung auf der Höhe 220 (l'Ormet) bezog. Obgleich die Aufgaben des Bataillons im Wesentlichen nur in Bereitstellung, Errichten von Ausnahmestellungen und Patrouillendienst bestanden, waren die Verluste durch das ununterbrochene Artilleriefeuer nicht unbeträchtlich: der Feldwebel Bloch der 1. Kompagnie, 1 Oberjäger und 4 Jäger tot, 25 Oberjäger und Jäger verwundet, 2 Jäger vermißt. Aber wenn auch die dem feindlichen Feuer sehr ausgesetzte Lage des Bataillons alles andere als behaglich war und auch die ändern Truppenteile der Division hart mitgenommen wurden, so schlug der um 7 Uhr 20 abends erteilte Divisions-Befehl zum Rückzug doch wie ein Blitzstrahl ein – so unerwartet und unbegründet erschien er. Wußte doch niemand, daß nicht taktische, sondern strategische Erwägungen zu ihm geführt hatten. Der Gegner hatte gegen den rechten Flügel der deutschen Armeen einen umfassenden Angriff vorgetragen, der von Stunde zu Stunde bedrohlicher wurde und die deutsche Oberste Heeresleitung veranlaßte, den allgemeinen Rückzug in eine neue Grundstellung anzuordnen. Von all dem wußte die Truppe nichts. Sie sah nur die Rückwärtsbewegung und, wenn natürlich auch jeder – Offizier wie Jäger – bitter enttäuscht und voll ernster Sorge war, so faßte man sich doch schnell und die befohlenen Bewegungen wurden tadellos und ruhig ausgesührt. Kurz vor Mitternacht sammelte das Bataillon und trat nach Fortschaffung der Verwundeten unbelästigt vom Feinde den Abmarsch über das brennende Sompuis nach Soudä an, wo die 4. Kompagnie Vorpostenaufstellung einnahm, während das Bataillon um 2 Uhr nachts Ortsbiwak bezog. Oberleutnant d. R Beutin, der von seiner Verwundung genesen war, stieß mit einem Ersatztransport von 8 Mann zum Bataillon. Er brachte die ersten Nachrichten aus der Heimat mit.

Zur Sicherung des rechten Flügels der Division wurde am 10. September aus dem 11. Jägerbataillon, einer Batterie Feldart.- Reg. 12 und einem Zug Husarenregiments 19 ein Detachement gebildet, dessen Führung Major Graf v. Soden übernahm. Um 7 Uhr 30 vormittags erfolgte der Abmarsch nach Sommesous, das um 9 Uhr erreicht wurde. Während des Marsches tauchte im Süden feindliche Kavallerie auf. Sommesous selbst war mit etwa 400–500 Verwundeten überfüllt. 1. und 2. Kompagnie, durch Husaren verstärkt, stellten die Vorposten, während das übrige Detachement Biwak bezog. Schon kurz nach Aufstellung der Posten zeigten sich die ersten Kavalleriepatrouillen des Feindes. Den vorgehenden Husarenpatrouillen sprühte aus den nördlich Mailly (bei 198 und 202) liegenden Waldstücken Infanteriefeuer entgegen, in das auch die ersten Schrapnells hineinpfiffen. Immer lebhafter wurde es im Vorgelände. Dragonerschwadronen zeigten sich im Walde südöstlich Höhe 170, nördlich Mailly außer Kavallerie und Radfahrern auch Infanterie und Artillerie. Gegen Mittag schlugen die ersten Schrapnells in den Ort und die Umgebung des Biwaks. Auch in der linken Flanke erschienen gegen 2 Uhr etwa 4 feindliche Schwadronen mit Artillerie und Maschinengewehren, die zeitweise feuernd ihre Stellung häufig wechselten, offenbar bemüht, das Bataillon zu umfassen. Das Detachement nahm Verteidigungsstellung am Bahndamm ein, vorläufig aber erfolgte kein Angriff. Nur das Artilleriefeuer nahm ständig an Heftigkeit zu und verursachte empfindliche Verluste. Das Jägerbataillon verlor einen Vizefeldwebel und 7 Jäger an Toten und 19 Verwundete. Der 2. Kompagnie gelang es, 2 französische [S. 20] Radfahrer, die ihrer Kompagnie den Befehl zu Angriff und Durchbruch überbringen sollten, abzufangen. Gegen 4 Uhr trifft auch von der Division die Nachricht ein, daß stärkere feindliche Kräfte (an-scheinend eine Kavallerie-Division) von Süden und Südwesten im Anmarsch gemeldet seien und mit Kavalleriepatrouillen die Straße Sommesous–Soudé bereits überschritten hätten. Die Lage des Bataillons wurde kritisch. Schon lag die einzige rückwärtige Verbindung, die Straße Sommesous–Vatry unter feindlichem Feuer. Der Verpflegungsoffizier, der mit viel Ueberredungskunst kurz vor Chalons zwei vierspännige Proviantwagen aus einer zurück marschierenden Kolonne herausgeholt und im scharfen Trabe über Vatry zur Gefechtsbagage des Bataillons vorgebracht hatte, erstattete dem in Vatry liegenden Generalkommando Bericht und erwirkte, daß das Reserve-Schützenregiment an den Waldrand nördlich Sommesous vorgezogen wurde. Das Bataillon erhielt Befehl, sich auf dieses Regiment zurückzuziehen. Sofort ließ sich dies jedoch nicht ausführen, da mit einbrechender Dunkelheit die Angriffe des Feindes begannen, die sich zunächst gegen die Front, dann gegen die Flanken des Derachements richteten. Gegen Uhr nachts erfolgte ein letzter Frontangriff. Alle Versuche, in die Stellungen einzudringen, wurden mühelos abgewiesen. Um 1 Uhr 30 nachts wurde auf eintreffenden Divisionsbefehl hin die Stellung unbemerkt vom nur 200 Meter entfernt liegenden Feinde geräumt und der Rückmarsch in Richtung Vatry ausgeführt.


Empfohlene Zitierweise: „Adolf Otto, Kriegstagebuch des Kurhessischen Jägerbataillons Nr. 11 aus Marburg, 1914-1918, Abschnitt 13: Rückzug der Einheit zur Aisne“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/10-13> (aufgerufen am 13.05.2024)