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Hessische Biografie

Portrait

Annelore Hella Schlösser
(1926–2011)

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GND-Nummer

1015325386

Schlösser, Annelore Hella [ID = 8252]

* 20.3.1926 Berlin-Britz, † 29.6.2011 Worms, evangelisch
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Andere Namen

Geburtsname:

Renneberg, Annelore Hella*

Wirken

Werdegang:

  • cand. phil.
  • Helferin ihres kriegsblinden Ehemannes
  • Familienforscherin, erforschte vor allem mit ihrem Mann „Die Wormser Juden 1933-1945“
  • 1984 Bundesverdienstkreuz

Werke:

Familie

Vater:

Renneberg, Theodor Werner, 1886-1957, Apotheker in Oppenheim

Mutter:

Wernher, Luise Friederike, 1893-1988, Lehrerin

Partner:

  • Schlösser, Karl, 1917-2003, Heirat Oppenheim 4.8.1951, Dr. phil., Leiter der Wormser Volkshochschule

Verwandte:

Nachweise

Quellen:

  • Stadtarchiv Worms, Abt. 170/32, Nachlass der Eheleute Karl und Annelore Schlösser

Literatur:

Leben

Mütterlicherseits aus einer alteingesessenen rheinhessischen Familie stammend, wurde Annelore Renneberg 1926 in Berlin geboren, da ihr Vater dort als Apotheker bei der pharmazeutischen J. D. Riedel AG angestellt war. Doch bereits 1928 siedelte die Familie nach Oppenheim über, wo ihr Vater die Löwen-Apotheke seines verstorbenen Schwiegervaters Carl Wernher übernahm. Im gleichen Jahr wurde auch Annelores einzige jüngere Schwester geboren. Nach der Volkschule besuchte sie zunächst die Oberschule für Jungen in Oppenheim. Da ihre männlichen Klassenkameraden alle als Flakhelfer eingezogen wurden, mussten die drei übrig gebliebenen Mädchen ihrer Klasse das Abitur im Februar 1944 am Frauenlobgymnasium in Mainz ablegen.

Am 7. März 1944 wurde sie zum Arbeitsdienst ins RAD-Lager 1/115 in Burg-Gemünden in Oberhessen einberufen. Im Oktober 1944 begann ihr Einsatz als Flakhelferin im Ruhrgebiet. Im Januar 1945 wurde sie zur Ausbildung als Horchgeräteführerin an der Flakartillerieschule in Baden bei Wien abkommandiert. Ende März 1945 begann zusammen mit anderen Flakhelferinnen eine Irrfahrt durch das zerstörte Deutschland, die per Marschbefehl von Baden bei Wien über das Sudetenland, Sachsen, Berlin, Schleswig-Holstein, den Harz, Franken und Innsbruck schließlich nach Fügen im Zillertal führte, wo sie das Kriegsende erlebte. Zu Fuß machte sie sich am 9. Mai 1945 mit einigen Kameradinnen auf den Heimweg nach Oppenheim, wo sie nach abenteuerlichen Wochen am 27. Mai 1945 eintraf.

Danach half sie zunächst ihrem Vater in der Oppenheimer Apotheke. Als im Mai 1946 die wiedergegründete Universität in Mainz ihren Betrieb aufnahm, gehörte Annelore Renneberg zu den Studentinnen der ersten Stunde. Sie studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie (das sie später durch Romanistik ersetzte) mit der Absicht, wie ihre Mutter, Lehrerin zu werden. 1948 lernte sie dort den Kriegsblinden Karl Schlösser aus Worms kennen, dem sie zunächst als Vorleserin half, die für sein Studium nötigen Bücher kennenzulernen. 1949 verlobten sich die beiden, 1950 fuhren sie zusammen nach Frankreich zu einem Sprachkurs und am 4. August 1951 fand in Oppenheim die Hochzeit statt. Noch im selben Jahr legte Annelore Schlösser ihr Staatsexamen ab. Berufstätig wurde sie aber nicht, da 1952, 1953 und 1956 insgesamt 4 Kinder geboren wurden. Die älteste Tochter starb als dreijähriges Kind 1955 an Hirnhautentzündung.

Bis zur Pensionierung ihres Ehemannes, der von 1958 bis 1979 die Volkhochschule in Worms leitete, kümmerte sie sich um die Kindererziehung und begleitete ihren Ehemann zu zahlreichen beruflichen Terminen und auf viele VHS-Reisen, bei denen sie oft gemeinsam mit ihm die Reiseleitung übernahm. Sie ermöglichte ihm damit die Berufstätigkeit trotz seiner schweren Kriegsverletzung. Dafür wurde sie 1984 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Ab 1980 erforschte sie zusammen mit ihrem Ehemann die Judenverfolgung während der NS-Zeit in Worms, die 1986 in die Dokumentation „Die Wormser Juden 1933-1945“ mündete. 1987 veröffentlichten sie zusammen das Buch „Keiner blieb verschont“, das den historischen Kontext zu der Dokumentation lieferte und die erste wissenschaftliche Darstellung der Judenverfolgung in Worms gewesen ist. Die aus dieser Arbeit entstandenen persönlichen Kontakte zu ehemaligen Wormser Juden wurden fortan zu einem wichtigen Teil des Lebens von Annelore Schlösser. Sie pflegte diese Beziehungen bis zum Vorabend ihres Sterbetags, war oft Gastgeberin für Wiederbegegnungen in Worms und eine profunde Kennerin der beiden Wormser Judenfriedhöfe, über die sie oft Gruppen und Einzelpersonen führte.

Zunächst zusammen mit ihrem Ehemann, nach dessen Tod 2003 auch alleine, stellte sie sich regelmäßig als Zeitzeugin zur NS-Geschichte für Schulen zu Verfügung. Und sie forschte weiter über Einzelschicksale ehemaliger Wormser Juden und deren Familienverbindungen. Vor allem ihre Veröffentlichungen zur Familie Schloß, die zuletzt in Worms, davor in Alzey und Framersheim beheimatet war, und den dadurch entstandene Kontakt zu Sybille Schloß in New York, die in jungen Jahren Mitglied von Erika Manns Kabarett „Pfeffermühle“ gewesen war, beschäftigten sie in ihren letzten Lebensjahren.

Im Januar 1933 war Annelore Renneberg sechs Jahre alt und erlebte den Beginn der NS-Zeit positiv, da ihre Eltern schon davor Anhänger der NSDAP gewesen waren und Hiltlers Machtantritt begrüßten. Als Mitglied des BDM, beim RAD und als Flakhelferin stellte sie das NS-Regime ebenfalls nicht in Frage. Erst gemeinsam mit ihrem Ehemann erkannte Annelore Schlösser die Irrtümer dieser Vergangenheit und machte es auch zu ihrer Aufgabe, über die Verbrechen der NS-Zeit zu forschen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Das Teamwork des Ehepaares Schlösser ermöglichte eine einzigartige Mischung aus historischer Aufarbeitung und persönlichem Engagement zur Versöhnung mit den ehemals Verfolgten. Beide wurden postum 2012 mit der Benennung des Annelore-und-Karl-Schlösser-Platzes in Worms für ihre gemeinsame Arbeit geehrt.

Susanne Schlösser

Zitierweise
„Schlösser, Annelore Hella“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/1015325386> (Stand: 28.11.2023)