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Hessische Biografie

Portrait

Hans Theophil Robert Krawielitzki
(1900–1992)

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GND-Nummer

130505382

Krawielitzki, Hans Theophil Robert [ID = 16026]

* 26.11.1900 Vandsburg (Westpreußen) heute Więcbork (Polen), † 29.9.1992 Marburg, evangelisch
Landrat, Parlamentarier
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Wirken

Werdegang:

  • ab 1908 nach dem Umzug der Eltern nach Marburg Besuch des dortigen Realgymnasiums
  • Sommer 1918 Eintritt in das Ersatzbataillon der Jäger 11 in Marburg
  • nach Kriegsende bis Sommer 1919 beim Freikorps „Hindenburg“ in Pommern
  • März 1920 „als Freiwilliger im Marburger Studentenbataillon“ und „Teilnahme an der Niederwerfung des kommunistischen Aufstandes in Thüringen“
  • Sommer 1920 Abitur in Marburg
  • ab 1921 Studium der Rechtswissenschaft an den Universitäten Marburg und Berlin
  • 1920-1922 Mitglied im Jungdeutschen Orden
  • 1925 Abbruch des Referendarexamens wegen plötzlicher schwerer Erkrankung
  • 1927 nach schwerer Operation Fortsetzung des Studiums
  • 26.9.1927 Mitglied der NSDAP, Mitglieds-Nr. 68.068
  • Führer der NSDAP-Ortsgruppe Marburg und ab 1928 der Bezirksorganisation
  • durch das politische Engagement an der Ablegung des Examens gehindert
  • 1.10.1932 bei der Neuorganisation der Partei Kreisleiter des Kreises Marburg-Stadt, Marburg-Land und Kirchhain
  • 15.1.1933 als Gauschatzmeister Mitglied der Gauleitung
  • 21.1.-14.10.1933 (als Nachfolger von Konrad Verne) Mitglied des Preußischen Landtages
  • 21.1.1933-1945 Mitglied des Deutschen Reichstages
  • 1933 ehrenamtlicher Stadtrat in Marburg
  • 1.3.1934-31.5.1935 zugleich Gauinspektor des Gaues Kurhessen
  • 25.6.1934 vertretungsweise Verwaltung des Landratsamtes des Kreises Marburg, 20.2.1935 kommissarische Verwaltung, 23.4.1936 definitive Übertragung des Amtes
  • 1.9.1937 Niederlegung des Amtes als Kreisleiter
  • 16.2.1938 Vorsitzender des Kreisgerichts der NSDAP Marburg
  • bei der Entnazifizierung als „Minderbelasteter“ eingestuft

Funktion:

  • Preußen, Landtag, Mitglied (NSDAP), 1933
  • Marburg, Landkreis, Landrat, 1936-1945

Lebensorte:

  • Vandsburg (Westpreußen); Marburg; Berlin
Familie

Vater:

Krawielitzki, Theophil* Bernhard Johannes, * Rauden 22.6.1866, † Marburg 22.3.1942, evangelisch, Pfarrer und Direktor des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes

Mutter:

Kolkow, Thusnelda von, * 29.7.1874, † 16.5.1953, Heirat 1894

Partner:

  • Schnare (Schnarre), Hildegard, (⚭ Marburg 30.12.1936) * 27.9.1914, † 16.8.1992

Verwandte:

  • Krawielitzki-Hajós, Helga, geb. Krawielitzki <Tochter>, GND, * Marburg 2.4.1940, † Marburg 6.12.2005, Kunstpädagogin, Museumspädagogin, Galeristin
Nachweise

Quellen:

Literatur:

Bildquelle:

Mauß, Marburg, KrawielitzkiHans, als gemeinfrei gekennzeichnet (beschnitten)

Leben

Dieses biografische Bild beruht im Wesentlichen auf dem Erkenntnisstand der im Juni 2022 publizierten Studie „Das Führungspersonal der Landratsämter Marburg und Biedenkopf in der NS-Zeit“1 und setzt sich mit Krawielitzkis Rolle als Landrat des Kreises Marburg im Nationalsozialismus auseinander.

Hans Krawielitzki, geboren am 26. November 1900 in Vandsburg (Westpreußen), entstammte einer evangelischen Pfarrersfamilie. 1908 zog die Familie nach Marburg an der Lahn, wo sein Vater Theophil Krawielitzki eine Zweiggründung des Diakonissenarbeit leistenden Schwesternhauses der „Gemeinschaftsbewegung“ organisierte. Krawielitzki, der zunächst die Volksschule und dann das Realgymnasium besuchte, erlebte als Heranwachsender den Ersten Weltkrieg und wurde im Juni 1918 noch zum Heeresdienst eingezogen. Zum Fronteinsatz dürfte er allerdings nicht mehr gekommen sein, womit er Teil der sogenannten Kriegsjugendgeneration war.2 Zur Kompensation seines zu kurz gekommenen bzw. ausgebliebenen Kriegserlebnisses schloss sich Krawielitzki 1919 dem in Pommern gegen polnische Verbände kämpfenden Freikorps „Feldmarschall Hindenburg“ an und nahm 1920 als Freiwilliger des Marburger Studentenbataillons an der Niederwerfung des kommunistischen Aufstands in Thüringen teil.

Nachdem Krawielitzki im Sommer 1920 das Abitur nachgeholt hatte, schlug er ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Marburg und Berlin ein, das er 1925/26 aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend pausierte. Noch während seiner Studentenzeit schloss er sich am 26. September 1927 der NSDAP an (Mitglieds-Nr. 68.068).3 Der frühzeitige Parteibeitritt lässt dabei auf eine hohe ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus schließen, war die NSDAP im Jahr 1927 doch noch weit von irgendeiner Regierungsbeteiligung entfernt und die Parteimitgliedschaft somit noch mit keinerlei Vorteilen verbunden.

In der Folgezeit verschrieb sich Krawielitzki, der 1928 schließlich ohne Hochschulabschluss exmatrikuliert wurde, einem politischen Vollzeitengagement für die NSDAP, in dem er voll und ganz aufging. Nachdem er noch 1927 die Leitung der NSDAP-Ortsgruppe Marburg übernommen hatte, wurde er ein Jahr später mit der Bezirksorganisation beauftragt. Im Zuge der Neuorganisation der Partei erfolgte am 1. Oktober 1932 dann seine Ernennung zum Kreisleiter. Zu den Merkmalen, die Krawielitzki als politischen Akteur auszeichneten, gehörten ein Hang zur paramilitärischen Gewalt, ein Gespür für die Bedeutung von Propaganda sowie ein Talent für bürokratische Organisation.4 Darüber hinaus war er in der Partei ausgesprochen gut vernetzt und vermochte nahezu alle NS-Größen für Wahlkampfauftritte in die Stadt oder in den Kreis zu holen, darunter auch Adolf Hitler.5

Seinem politischen Engagement für die NSDAP verdankte Krawielitzki eine ganze Reihe von Ämtern und Mandaten sowohl auf kommunaler Ebene als auch auf der Landes- und Reichsebene. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang sein Amt als Landrat des Kreises Marburg, welches er zwischen Juni 1934 und März 1945 bekleidete. Welch große Bedeutung Krawielitzki seinem Amt als Landrat zu maß, zeigt sich daran, dass er zum 1. September 1937 sein Amt als Kreisleiter niederlegte, nachdem die Personalunion von Staats- und Parteiämtern auf Kreisebene durch die NSDAP untersagt worden war. Als sein Nachfolger Hermann von Löwenstein 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde, übernahm Krawielitzki in dessen Stellvertretung am 25. Juni 1940 erneut die Funktion des Kreisleiters, womit sowohl das höchste Staatsamt als auch das höchste Parteiamt im Landkreis abermals vereint waren. Die massive Ämterkumulation sowie seine ausgeprägten parteilichen Beziehungen machten Krawielitzki zum mächtigsten politischen Akteur im Raum Marburg während des Nationalsozialismus.

Charakteristisch für Krawielitzkis Amtsführung als Landrat war, dass er das bürokratische Alltagsgeschäft weitgehend seinen Mitarbeitern überließ und mitunter nur zum Leisten notwendiger Unterschriften auf dem Landratsamt erschien.6 Als gescheiterter Jurastudent war er für das Amt nicht nur unzureichend qualifiziert, sondern als Parteifunktionär auch stark durch anderweitige Verpflichtungen in Anspruch genommen. Nichtsdestotrotz trug Krawielitzki als Landrat die Verantwortung für die Verwaltungsführung. Welche Devise unter ihm gelten sollte, machte er bei seiner Amtseinführung am 16. Juli 1934 deutlich: Wenn ich als Nationalsozialist diesen Kreis verwalten werde, so soll zu jeder Zeit der Wille des Führers erfüllt werden.7

Als Landrat beteiligte sich Krawielitzki in einem hohen Maße an der Umsetzung der nationalsozialistischen Unrechts-, Repressions- und Verfolgungspolitik im Landkreis Marburg.8 Potenzielle Regungen von Gegnerschaft zum Nationalsozialismus wurden während seiner Amtszeit streng überwacht. Immer wieder ging die Kreisverwaltung gegen politisch non-konforme Personen vor. 1936 ließ Krawielitzki beispielsweise einen Rauschenberger Kaufmann wegen kommunistischer Äußerungen verhaften und drängte gegenüber der Gestapo darauf, dass der Betroffene infolge seiner staatsgefährlichen Tätigkeit längere Zeit festgehalten wird.9

Auch gegenüber sogenannten Asozialen zeigte Krawielitzki eine unnachgiebige Linie und scheute nicht davor zurück, zu deren Disziplinierung auf das Instrument der „Schutzhaft“ zurückzugreifen. Im Falle eines jungen Mannes, der einer Arbeitsverpflichtung nicht nachgekommen war, setzte sich Krawielitzki unter Missachtung einer vorausgegangenen richterlichen Entscheidung bei der Gestapostelle Kassel dafür ein, dass der Betroffene für die Dauer von drei Monaten im Arbeitslager untergebracht wird und wenn diese Maßnahme nicht möglich ist, im Konzentrationslager.10 Im „Kirchenkampf“ vertrat Krawielitzki dagegen mit Rücksicht auf die Befindlichkeit der Kreisbevölkerung, aber vielleicht auch aufgrund seiner persönlichen Prägung als Pfarrerssohn, eine gemäßigtere Linie, deren Zweck jedoch stets die Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft bildete.

Herauszustellen ist Krawielitzkis Einsatz für die „Arisierung“ jüdischer Vermögenswerte. Nach dem Novemberpogrom forderte er die Bürgermeister derjenigen Gemeinden, in denen Juden wohnen und in denen sich noch Synagogen befinden, auf, sich mit den zuständigen Vertretern der jüdischen Kultusgemeinden in Verbindung zu setzen, damit sie nunmehr ihren gemeinsamen Grund und Boden kostenlos der Gemeinde überschreiben.11 Die Abweichung von der gesetzlichen Regelung im Falle der „Arisierung“ einer Gemarkung in Niederweimar, begründete er gegenüber dem Regierungspräsidenten im November 1938 damit, dass ein öffentliches Interesse daran besteht, daß der Grundbesitz aus jüdischen Händen in diejenigen deutscher Volksgenossen […] übergeführt wird.12

Als Landrat war Krawielitzki auch für die Vorbereitung, Durchführung und Abwicklung der Deportation der im Landkreis lebenden jüdischen Bevölkerung und Sinti verantwortlich. Während die meisten in diesem Zusammenhang überlieferten Dokumente von seinen Mitarbeitern unterzeichnet sind, ist ein Dokument erhalten geblieben, das Krawielitzkis persönliche Unterschrift trägt. Es stammt aus dem Kontext der dritten Judendeportation und ist datiert auf den 3. August 1943. Darin berichtete Krawielitzki der Gestapostelle Kassel, dass er die in den Gemeinden Schweinsberg und Mardorf lebenden Judenfamilien mit der jüdischen Bevölkerung in Rauschholzhausen zusammen untergebracht habe, sodass die Gemeinden Schweinsberg und Mardorf jetzt auch judenfrei seien. Die Übrigen werde er in der Gemeinde Roth unterbringen. Dadurch sei nicht nur eine bessere Kontrolle über die bisher im Kreis verstreut lebenden Juden gewährleistet, sondern vielmehr werde so auch eine Vereinfachung des Schriftverkehrs in dieser Sache ermöglicht.13

In Soldatenuniform verkleidet, wurde Krawielitzki bei der Besetzung Marburgs durch die alliierten Truppen am 28. März 1945 aufgegriffen und in der britischen Besatzungszone interniert. Nach der dortigen Entnazifizierungspraxis musste er sich zunächst strafrechtlich vor einem Spruchgericht in Bielefeld verantworten, welches ihn am 8. April 1948 unter Anrechnung der Internierungshaft zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilte.14 Gegen das Urteil ging Krawielitzki vergeblich in Revision.15 Seine politische Überprüfung erfolgte vor dem Entnazifizierungshauptausschuss im Regierungsbezirk Hildesheim, das ihn am 2. November 1949 in die Belastungskategorie III (Minderbelasteter) einstufte.16 Abermals scheiterte ein Revisionsversuch von Seiten Krawielitzkis.17

Seit dem 3. Mai 1950 lebte Krawielitzki wieder in Marburg, wo er ein zurückgezogenes Leben führte. Er starb am 29. September 1992. Sein Grab befindet sich auf dem Hauptfriedhof in Marburg, wo er neben seiner Frau Hildegard (geb. Schnare) bestattet liegt. Aus der Ehe ging ein Kind hervor.

Marcel Spannenberger


  1. Marcel Spannenberger, Das Führungspersonal der Landratsämter Marburg und Biedenkopf in der NS-Zeit, Marburg 2022.
  2. Zur Kriegsjugendgeneration siehe Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996, S. 42-45.
  3. BArch [Bundesarchiv] Berlin R 9361-IX KARTEI / 23050085.
  4. Vgl. Rudy Koshar, Social life, local politics, and Nazism. Marburg 1880–1935, Chapel Hill 1986, S. 188 f.
  5. Der neue Landrat des Kreises Marburg, in: Oberhessische Zeitung, 23.6.1934, S. 5.
  6. Dies geht aus zahlreichen Aussagen in den Entnazifizierungsverfahren gegen Krawielitzki und seine Mitarbeiter hervor. Siehe dazu BArch Koblenz Z 42-IV/1527, Hauptakte, HHStAW, Abt. 520/27, Nr. 4658, 5507.
  7. Einführung von Landrat Krawielitzki, in: Oberhessische Zeitung, 17.7.1934, S. 5 f., Zitat S. 6.
  8. Siehe dazu Spannenberger, Führungspersonal, S. 52-85.
  9. HStAM, Best. 180 Marburg, Nr. 5021, Fallakte Willi Arenz, Der Landrat in Marburg an die Gestapostelle Kassel, 30.11.1936 (gez. Krawielitzki).
  10. HStAM, Best. 180 Marburg, Nr. 4832, Der Landrat in Marburg an die Gestapostelle Kassel, z. H. von Regierungsassessor Augustin, 6.9.1939 (gez. Krawielitzki).
  11. HStAM, Best. 180 Marburg, Nr. 5462, Ausschnitt aus der Mittschrift über die Bürgermeisterversammlung, 21.11.1938.
  12. HStAM, Best. 180 Marburg, Nr. 2939, Der Landrat in Marburg an den Regierungspräsidenten in Kassel, 5.11.1938 (gez. Krawielitzki).
  13. HStAM, Best. 180 Marburg, Nr. 4830, Der Landrat in Marburg an die Gestapostelle Kassel, 3.8.1943 (gez. Krawielitzki), Bl. 1.
  14. BArch Koblenz Z 42-IV/1527, Hauptakte, Urteil der 10. Spruchkammer des Spruchgerichts in Bielefeld im Verfahren gegen Hans Krawielitzki, 8.4.1948, Bl. 99-101.
  15. Ebd., Hauptakte, Beschluss des 3. Spruchsenats des Obersten Spruchgerichtshofs in Hamm im Verfahren gegen Hans Krawielitzki, 24.11.1948, Bl. 121.
  16. HHStAW, Abt. 520/11 Nr. 8644/2, Urteil des Entnazifizierungshauptausschusses in Hildesheim im Verfahren gegen Hans Krawielitzki, 2.11.1949, Bl. 32-35.
  17. Ebd., Entscheidung des Berufungsausschusses für die Entnazifizierung für den Regierungsbezirk Hildesheim, 25.4.1950, Bl. 27-31.
Zitierweise
„Krawielitzki, Hans Theophil Robert“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/130505382> (Stand: 4.4.2024)