Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Biografie

Hessen und bei Rhein, Ludewig I. Großherzog von [ID = 1323]

* 14.6.1753 Prenzlau, † 6.4.1830 Darmstadt, Begräbnisort: Darmstadt seit 1910 auf der Rosenhöhe, evangelisch-lutherisch
Biografischer Text

In Ludwigs Lebens- und Regierungszeit vollzog sich der Übergang vom aufgeklärten Spätabsolutismus zum bürgerlichen Verfassungsstaat. Die Erziehung im elsässischen Buchsweiler prägte die vielseitig interessierte „große Landgräfin“ Karoline; der Vater, der ihn nominell schon 1756 zum Obristen ernannt hatte, exerzierte nach der Rückkehr aus dem preußischen Prenzlau mit den Grenadieren in seiner Soldatenstadt Pirmasens, wo er auch als regierender Landgraf blieb. Die militärische Ausbildung des Sohnes begann wohl erst mit der Rückkehr nach Darmstadt, wurde aber 1769 durch zwei Studienjahre des nunmehrigen Erbprinzen in Leiden unterbrochen, wo er offiziell als niederländischer Oberst firmierte. Die anschließende Bildungsreise nach London und Paris brachte engere Kontakte mit den Aufklärern Diderot und d’Alembert.

1773 folgte der Erbprinz Mutter und Schwestern über Berlin nach St. Petersburg zur Teilnahme an Wilhelmines Hochzeit mit dem Zarewitsch. Im nachfolgenden Türkenkrieg nahm Ludwig am Feldzug Graf Rumjanzews in der Dobrudscha teil und avancierte zum russischen Generalleutnant, ließ sich aber im Herbst 1775 beurlauben. Die im März 1776 in Mömpelgard gefeierte Verlobung mit Sophie Dorothea von Württemberg wurde binnen weniger Monate wieder gelöst, da die Braut nach dem dubiösen Tod der hessischen Natalie/Wilhelmine von Zarin Katharina für ihren Sohn Paul reklamiert wurde. Ludwig ließ sich in Weimar von der im Vorjahr mit Herzog Karl August verheirateten Schwester Luise trösten; Goethe bestätigte ihm in einem Brief an den Darmstädter Freund Kriegsrat Merck eine große, feste, treue Natur mit einer ungeheueren Imagination und einer graden tüchtigen Existenz. Zurück in Darmstadt, heiratete Ludwig dort seine Cousine Luise und übernahm mit ihr – neben militärischen Aufgaben als Generalinspekteur und Direktor des Kriegskollegs – die landesherrliche Repräsentation, wozu auch die Reaktivierung des Theater- und Musiklebens unter Beteiligung von Hof und Bürgerschaft gehörte.

Der Reformwille, den der kurz nach Regierungsantritt 1790 erlassene „Freiheitsbrief“ für die Katholiken signalisierte, wurde zunächst durch die Auswirkungen der Französischen Revolution gebremst, die nach dem Verlust der linksrheinischen Grafschaft Hanau-Lichtenberg zeitweilig zur Evakuierung von Hof und Regierung führten. Der durch Subsidien aus England und Holland finanzierte Einsatz hessischer Regimenter gegen Frankreich endete mit der Neutralitätskonvention von 1790. Der Reichsdeputationshauptschluss brachte ansehnliche Gebietsgewinne in der künftigen Südprovinz Starkenburg, in der Wetterau und im kölnischen Westfalen, die den Anstoß zu umfassenden Verwaltungsreformen gaben. Mit dem unter dem Druck französischer Besatzung vollzogenen Anschluss an den Rheinbund folgte mit der Mediatisierung der Grafen und Fürsten von Erbach, Leiningen, Solms und Stolberg der für das benachbarte Baden aus Florenz entliehene Großherzogs-Titel. Bezahlt wurde mit dem verlustreichen Einsatz hessischer Truppen für Kaiser Napoleons Kriegszüge in Spanien und Russland. Der nach der Leipziger Schlacht 1813 vollzogene Frontwechsel führte zur Absicherung der territorialen Neuordnung auf dem Wiener Kongress mit dem Tausch Westfalens gegen das künftige Rheinhessen und der Titelerweiterung „bei Rhein“. Das Verfassungsversprechen der Bundesakte führte erst unter dem Druck der von den burschenschaftlichen „Schwarzen“ inszenierten „wilden Landtage“ zur Verfassung von 1820, die von zahlreichen Reformen in Verwaltung und Justiz, Kirche und Schule, Landwirtschaft und Gewerbe begleitet wurde.

Die Erziehung der Untertanen zu Bürgern war wichtiges Motiv der engagierten Kulturpolitik des Großherzogs, bei der ihn der fast lebenslange Kabinettschef Ernst Schleiermacher (1755–1844) unterstützte. Dazu gehörten die Öffnung von Hofbibliothek und Museum (1817/20), ein umfassendes Stipendienprogramm für Künstler und Musiker und der Neubau des Hoftheaters (1819) mit 1800 Plätzen, das (so meinte man) zu den rund 20.000 Bewohnern der Residenz in einem richtigen Verhältnis stand. Der Architekt, Oberbaudirektor Georg Moller (1784–1852), hat den aufs Land ausstrahlenden klassizistischen Regierungsbaustil maßgeblich beeinflusst, hat aber gleichzeitig auch die großherzogliche Denkmalschutz-Verordnung von 1818 konzipiert, die er seinem magnum opus „Denkmäler der deutschen Baukunst“ vorangestellt hat. Beherrschender Blickpunkt Darmstadts ist nach wie vor der „lange Ludwig“, das 1844 eingeweihte „Monument“ des ersten Großherzogs im Zentrum der sogen. „Moller-Stadt“.

Eckhart G. Franz

(Text identisch mit: Franz, Das Haus Hessen, S. 322-324)


Literatur