Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Ernst Hofsommer, Bericht eines Frankfurter Lehrers über einen Sturmangriff in der Sommeschlacht, 1916

Abschnitt 7: Kampfbereitschaft angesichts des Todes

[9-11]
Und nun kam für mich der weihevollste Augenblick meines Feldzugs im Westen. Zehn Monate lang hatte ich hier im Westen stets im Graben gelegen. Was das heißt, kann sich keiner der Ofenbank- und Biertischpolitiker daheim vorstellen, die vom Durchhalten reden und keinen Finger rühren fürs Vaterland, die aus nichts an Essen, Trinken und Kleidung verzichten wollen, hier im Graben ein Leben untermenschlich, tierisch, roh. Ein Hausen in Höhlen, ein Daliegen ohne Erfolge. Nichts tun können als das Erreichte halten. Ein dumpfes Hindämmern, ein elendes Brüten und Stumpfsein ist das, ein Maulwurfskrieg mit Unterminieren, Minenschießen, Gasabblasen, wehrlos Daliegenmüssen als Kanonenfutter im Trommelfeuer. [S. 10] So unmännlich, so gemein, so aller Kulturerrungenschaft hohnsprechend ist dieser Krieg, so unheldenhaft!

Nun aber kommt es endlich, wenigstens einmal, zum ehrlichen Kampf über freies Feld. Nun heißt es: Du oder ich! Nun kann jeder sich wehren oder, falls er sich überlistet und überrascht sieht, sich ergeben. Wir werden den Wehrlosen schonen. Zwischen uns gibt es nur eine Entscheidung: Sieg oder Untergang. Unser Ziel wird erreicht.

Ich bekenne offen: ich hasse den Krieg an sich. Er ekelt mich an. Er widerspricht jedem Schönheitsempfinden. Er ist ein Hohn auf Kultur, Christentum und Fortschritt. Was Menschengeist erfand zur Beherrschung und Veredlung der Kräfte, das wendet er an zur Zerstörung aller Daseinswerte, zur Vernichtung von Millionen der besten Volkskräfte, zur Vernichtung derer selbst, die den Fortschritt erst mühsam errangen.

Ich behaupte ferner, daß in solcher Stunde, wo es ums Leben und Sterben geht, ans große Abschiednehmen von der Erde, Sonne, dem schönen, schaffensfrohen Leben, von geliebten Menschen, daß da jeder sich bangt und erbebt, daß jeder im Wirken Licht und Freude, im Sterben Finsternis sieht. Jeden beschleicht im Trommelfeuer und beim Sturm auf feindliche Gräben ein Todesgrauen. Wer kennt und durchschaut das dunkle Rätsel des Todes und der Ewigkeit? Wer könnte reinen Herzens sterben, fertig, abgeklärt, ausgewirkt? Wer hat einen fertigen Lebensbau errichtet? Will man aber sterben mitten im Schaffens- und Tatendrang? Will man inmitten von Sünde und Fehle über die Pforte des Todes hinüberschreiten in die Welt der Ewigkeit oder selbst eine Welt des Nichts? Wer möchte sterben als Unvollendeter?

Wenn aber gekämpft und im Kampf gestorben sein muß, wenn das Vaterland dies höchste Opfer fordert, dann [S. 11] möchte ich nicht im Graben sterben, von der Granate zerhackt als ein Wurm der Ohnmacht, der im Staube kriecht, sich ängstlich an den Boden duckt. Wenn der Kampf nicht mit Waffen des Geistes ausgekämpft werden kann, wenn Körperkraft und Schwert und rohe Gewalt entscheiden müssen, dann lobe ich mir den Kampf auf freiem Feld, den ehrlichen Kampf Mann gegen Mann! Diesen freien, stolzen, ehrlichen Soldaten- und Heldentod hat uns der moderne Krieg der Technik und der Maschinen genommen. Er hat uns Soldaten ärmer gemacht als die Soldaten Friedrichs des Großen und die Kämpfer von 1806-15 und 1870/71.


Personen: Hofsommer, Ernst
Sachbegriffe: Sommeschlacht · Schützengräben · Granaten · Deutsch-Französischer Krieg 1870-1871
Empfohlene Zitierweise: „Ernst Hofsommer, Bericht eines Frankfurter Lehrers über einen Sturmangriff in der Sommeschlacht, 1916, Abschnitt 7: Kampfbereitschaft angesichts des Todes“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/87-7> (aufgerufen am 04.05.2024)