Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918

Abschnitt 41: Gedicht "Zwölf gegen sechzig" (2)

[79-81] [S. 79]
Das Gros, ein Führer und neun Mann,
Zieht dieser in den schwarzen Tann.
Und wie sie durchs Föhrendunkel schnüren1,
Sie ein Wölklein russischen Tabak spüren.
Sie pirschen sich an und liegen bald
Bei den Russenposten im Hinterhalt.
Nun Russen hocken stuhr und stumm
Um einen dicken Baum herum.
Ein Posten geht, Gewehr im Arm
Und stampft die breiten Füße warm
Und alles raucht und dampft und zieht
Daß der Papyror Funken sprüht.
Am liebsten wären die grauen Jungen
Den Kerlen gleich an die Kehle gesprungen
Doch Peter Meier mit Behagen
Hat schon die Rechnung überschlagen
Das zählt ein Kind am Finger her:
"Wo zehn Mann wachen, schlafen mehr!
Wer wird sich mit zehn Russen plagen?
Vorwärts, wir woll'n die Hauptmacht schlagen
Ehre genug ist's den zehn Schlingeln,
wenn wir sie mit drei Mann umzingeln.
Gesagt, getan die dreie kauern.
Gewehr im Arm, im Busche lauern.
Der Posten trampelt auf und ab,
Streift von dem Busch den Schnee herab....
Das Gros, ein Führer und sechs Mann,
zieht tiefer in den schwarzen Tann.

[S. 80]
Zur selben Zeit im Unterstand
Erwacht der russ'sche Leutenant.
Er weiß nicht recht.... Es ist ihm so...
Er weiß nur noch nicht wie und wo.
Doch will der Schlaf ihm nimmer schmecken,
Er muß sich den Serganten wecken.
"Steh auf, du Kerl! Es ist mir so,
Ich weiß nur noch nicht wie und wo.
Wir wollen doch mal patroulieren,
Und uns're Posen rewidieren!"
Drauf nehme Leutnant und Sergant
Ihr mörderisch Pistol zur Hand,
Und krauchen aus dem Unterstand
Als Leibwacht geht auf Schritt und Tritt
Ein Handgranatenjäger mit.
Drei Schritt nur geht der Leutnant so,
Da weiß er plötzlich wie und wo!
Er sieht, - das Herz springt ihm in Stücken -
Den Peter Meier aus Saarbrücken.
Der Meier schnurrt, der Leutnant knurrt,
Und aus dem Handgranatengurt,
Rafft er die Bombe schwer und groß
Und reißt aus Zorn den Zünder los.
Die Bombe kreist, die Gase zischen
Musketier Blecker springt dazwischen,
Und eh er saust auf Meyers Kopf,
Packt er den Eisenpulvertopf.
Mann gegen Mann im Dunkel ringt
[S. 81]
Hand gegen Hand....


  1. schnüren(Jägersprache):sich ein einer Linie bewegen

Personen: Wiedemann, Klaus · Flex, Walter · Meier, Peter · Meyer, Peter · Blecker, Musketrier
Orte: Naratsch-See · Narotsch-See · Weißrussland · Saarbrücken
Sachbegriffe: Kriegslyrik · Schlacht am Naratsch-See · Schützengraben · Reservisten · Leutnants · Hinterhalte · Handgranate
Empfohlene Zitierweise: „Klaus Wiedemann, Der Erste Weltkrieg aus der Sicht eines Kasseler Oberschülers, 1914-1918, Abschnitt 41: Gedicht "Zwölf gegen sechzig" (2)“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/13-41> (aufgerufen am 18.05.2024)