Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Contemporary History in Hessen - Data · Facts · Backgrounds

Bericht über die Lage in Frankfurt, Juni 1945

Die Gewerkschafterin Anna Beyer (1909–1991) berichtet dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund im Juni über die Zustände in Frankfurt am Main. Sie thematisiert die sozialen Probleme in der Stadt, insbesondere die Ernährungslage, Fragen der „Vergangenheitsbewältigung“ und das Wirken der amerikanischen Besatzungstruppen:

Liebe Freunde,
von Frankfurt ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die Innenstadt ist so gut wie ganz zerstört. Alle Brücken sind gesprengt. Zwei von den Amerikanern errichtete Notbrücken verbinden die Stadt mit Sachsenhausen. Einige der äußeren Stadtteile wie z.B. Eckenheim, Eschersheim, Heddernheim, Preungesheim sind noch gut bewohnbar. In den letzten Wochen vor der Besetzung ist die Bevölkerung kaum aus den Bunkern herausgekommen. Die Bunker sind fest gebaut und konnten sogar einen Volltreffer aushalten, ohne einzustürzen. Daß die Stadt so sehr ausgebrannt ist, liegt zum Teil an der sturen Organisation der Feuerwehr. Ich habe von verschiedenen Leuten in Frankfurt und Offenbach gehört, daß die Feuerwehr löschbereit zugesehen hat, wie ganze Häuserreihen abbrannten. Sie griff nicht ein, weil sie keinen Löschbefehl hatte. Löschbefehle gab es nur für Fabriken, Parteihäuser, öffentliche Gebäude usw. Die Wohnungsnot ist groß. Viele wohnen noch in den Kellern der ausgebombten Häuser. Die älteren Leute machen einen müden, traurigen Eindruck, die jüngeren sehen gleichgültig und stumpf aus. Fast in jeder Familie gibt es einen Toten. Im Krieg gefallen oder von den Nazis umgebracht.
Die Straßen sind vollgestopft mit Rückwanderern und Soldaten. Man sieht traurige Gestalten unter ihnen. Alte Leute und Krüppel, die ihre letzten Reste irgendwohin schleppen. Wer noch gesund ist und tragen kann, ist vollgepackt mit Rucksäcken und Bündeln in allen Farben und Formen. Soldaten, die zu Hause weder ihre Familie noch eine Bleibe finden, die alles verloren haben, wandern kreuz und quer durch Deutschland.
In den ersten Tagen des Zusammenbruchs wurde sehr viel geplündert. Läden, Kasernen, Lagerräume und Eisenbahnzüge wurden ausgeräumt. An den Plünderungen haben sich nicht nur die ausländischen Arbeiter beteiligt. Es war sicher ein ebenso großer Teil der deutschen Bevölkerung daran beteiligt gewesen. Ich hörte von zuverlässigen Bekannten, daß die Leute fünf Zentner Mehl, drei Zentner Zucker, einen Zentner Butter, Konserven, Fleisch, halbe Schweine nach Hause geschleppt haben. Einer hatte eine Kiste nach Hause geschleppt. Als er sie aufmachte, war er sehr enttäuscht. Es waren nur Gemüsekonserven. Eine Frau erzählte mir von einer Familie, die u.a. 50 Wäschegarnituren mitgehen ließ. Daß man sich mit Zigaretten und Rauchwaren versehen hat, hält fast jeder für selbstverständlich; selbst Leute von der Antifa. Nur in einem Fall hat ein Händler Butter und Käse an seine Kunden verkauft. In Hallgarten wurde ein Rauchwarenlager ausgeräumt und an die Bevölkerung verteilt. Es war so viel, daß jeder Einwohner des Ortes Rauchwaren für ein ganzes Jahr bekommen hat.
Das Gespräch, ganz gleich, wo und wer es ist, dreht sich um das Essen. Welche Zuteilung gibt es diese Woche? Wo und was kann man hamstern? Erst an zweiter und dritter Stelle kommen die Soldaten. In diesem großen Chaos weiß keiner etwas Bestimmtes von seinen Angehörigen und wartet nun jeden Tag auf eine Nachricht oder auf die Rückkehr der Männer. Die zurückkommenden Soldaten werden als Auskunftsstellen benutzt. Oft können sie gar nicht schnell genug auf alle Fragen antworten und kommen dadurch natürlich auch nicht weiter. Die Soldaten kommen oft sehr zerlumpt und ausgehungert hier an. In den Kriegsgefangenenlagern, z.B. bei Kreuznach und Koblenz, sind die Verhältnisse sehr schlecht. Sie haben sehr wenig zu essen, keine Baracken, bei jedem Wetter liegen sie im Freien. Es soll dort 20-60 Tote pro Tag geben. Die Amerikaner sind jetzt dabei, die Leute zu Tausenden zu entlassen. Bevorzugt werden landwirtschaftliche Arbeiter. Die Aufnahme der Personalien erfolgt bei der Entlassung. So kommt es, daß Nazis und KZ-Leute wochenlang Zusammensein mußten. Ich meine frühere KZ-Leute, die man sehr oft in den letzten zwei Kriegsjahren in die Wehrmacht gesteckt hat.
Die Ernährung ist unzureichend. Das Anstehen in den Lebensmittelgeschäften ist zur Gewohnheit geworden. Die Leute stehen auch an, wenn sie es nicht nötig haben. Viele jammern sehr, doch wenn man etwas nachhilft, haben sie immer noch einige Vorräte, mit denen sie die Rationen ergänzen können. Wirklich schlecht geht es den Alten und Kranken, die nicht zu den Bauern aufs Land gehen können, um sich Gemüse, Obst, Fett usw. zu holen.
Die Rationen in Frankfurt sind:
1 kg Brot per Woche
75 g Butter
125 g Fleisch
2 1/2 kg Kartoffeln
1/8 Ltr Magermilch pro Tag
2 Eier pro Monat
250 g Nährmittel
250 g Käse
250 g Zucker (Zuteilung war unregelmäßig)
50 g Kaffeersatz, seit die Amerikaner da sind.
Zu diesen Rationen gibt es manchmal Sonderzuteilungen von Brot, Butter oder Margarine. Obst und Gemüse sind sehr knapp.
Man hört sehr oft von Rückwanderern, daß auf dem Land noch genug Kartoffeln, Obst, Mehl, Milchprodukte vorhanden sind. Es fehlt an Transportmitteln, um die Sachen in die Stadt zu bringen. Ebenso wird der Transport durch die zerstörten Brücken erschwert.
Die ausländischen Arbeiter wurden von ihren Lagern in Wohnungen oder Schulen untergebracht und müssen nicht mehr arbeiten. In den ersten Tagen haben sie in einer Siedlung die Möbel aus den Fenstern geworfen und ein Freudenfeuer daraus gemacht. Durch die Plünderungen sind sie mit Lebensmitteln gut versorgt. An manchen Stellen werden sie geradezu eine Gefahr für die Bevölkerung. Sie überfallen die Leute und nehmen ihnen alle Wertsachen ab. Einer Bekannten, die acht Jahre Zuchthaus hinter sich hat, haben sie Fahrrad, Handtasche und Uhr abgenommen. Schon manchmal mußte ein Radfahrer im Unterzeug nach Hause laufen. Das Unwesen ist so groß, daß man einige, besonders Polen, wieder in Lager gebracht hat. Viele, denen man in der Stadt begegnet, sehen ordentlich angezogen und sauber aus. Ich hörte auch, daß während der Nazizeit viele Fremdarbeiter, Franzosen, Belgier, Holländer, Polen und Russen, sich gut mit ihren deutschen Kollegen verstanden haben und ihnen halfen, wo sie nur konnten.

Propaganda

Nach Gesprächen mit Leuten auf der Straße, Hausfrauen, Soldaten und Arbeitern, habe ich den Eindruck, daß viele nicht wissen, welche Scheußlichkeiten in diesem Krieg passiert sind. Auch wenn jemand von der Existenz der Konzentrationslager wußte, solche Scheußlichkeiten, wie wir sie jetzt kennen, hat doch keiner darin vermutet. Ein Soldat sagte mir, als ich ihm von den Grausamkeiten in Frankreich erzählte, solche Grausamkeiten können niemals von Deutschen begangen worden sein. Es ist eine Lüge. – Eine Frau auf dem Wohnungsamt jammerte, daß durch den Zuzug der Leute aus Theresienstadt die Wohnungsnot noch größer würde. Auf meine Frage, ob sie wüßten, was in Theresienstadt war, hatte keiner der Wartenden eine Ahnung.
Die Radioberichte der Alliierten machen nicht genug Eindruck. Oftmals wird es für Propaganda gehalten und nicht geglaubt. Man sollte einen KZler selber sprechen lassen. Ebenso sollte man den Film über Buchenwald zeigen.
Interessant für die Stimmung ist auch, daß viele noch bis zum Schluß an den Sieg der Deutschen geglaubt haben. Nur mit Widerwillen haben viele Soldaten die Waffen niedergelegt. Die Nazipropaganda wirkt noch: Es wird noch zu einer Auseinandersetzung zwischen den Alliierten und den Russen kommen. Es fragt sich dann nur, auf welcher Seite man steht.

Die Nazis

Keiner will heute Nazi gewesen sein. Wenn man nicht leugnen kann, daß man Pg war, hat man viele Entschuldigungen. Zu großer Druck von oben, Familienrücksichten, Unwissenheit, Dummheit usw.
Als die Nazis merkten, daß sie ausgespielt hatten, stellten sie Lastwagen bereit, um sich bei einem Fliegeralarm, als alle Leute im Keller oder Bunker waren, mit ihren Familien aus dem Staub zu machen. Dadurch sind auch jetzt noch viele Nazigrößen unterwegs. Oft halten sie sich noch auf dem Land versteckt. Der Gestapoleiter von Offenbach1 wurde jetzt bei einer Papierkontrolle auf dem Weg vom Land nach Offenbach erwischt und verhaftet. Die Verfolgung der Nazis kommt nur langsam voran. Viele von denen, die in den ersten Tagen verhaftet wurden, sind jetzt wieder freigelassen. Sie nehmen das als Beweis ihrer Unschuld und kommen auch damit durch. Auf diese Weise kommen sie wieder in ihre Wohnungen und Gärten, aus denen sie in den ersten Tagen hinausgeworfen wurden. Die Amerikaner sind sehr zurückhaltend. Das Privateigentum darf nicht angerührt werden. Eine Flasche Wein oder ein Mädchen, man sieht ihr ja nicht an, daß sie Nazirike ist, hilft oft, Wohnung oder Garten wiederzubekommen.
Die Auskämmung der Nazis in der Verwaltung und bei der Eisenbahn geht nur langsam. Oft fehlen die Ersatzkräfte. Pgs in leitender Stellung lassen sich zurückversetzen und bleiben im Betrieb als Arbeiter. Bei der Straßenbahn (Arbeiter und Angestellte) arbeiten von etwa 625 Nazis noch 100. Das ist gegenüber anderen Betrieben ein gutes Verhältnis.
Oft hört man die Meinung selbst auch von Linken, nicht jeder Pg ist ein Nazi und nicht jeder Nazi war Pg. Oft sind die Nicht-Pgs die schlimmeren Nazis. Wo soll man da die Grenze ziehen, fragen sie?
Auch sonst lebt die Nazipropaganda noch. Viele merken gar nicht, wie sie für sie arbeiten. So z.B. durch Verbreiten von Flüsterparolen. Einige habe ich mindestens zehnmal am Tag in verschiedenen Teilen Frankfurts gehört. In den Dörfern erzählt man, es habe in Frankfurt an den Litfaßsäulen gestanden:
Es gibt eine 25jährige Besetzung Deutschlands.
Es gibt fünf Jahre Heiratsverbot.
Es gibt ein Alkoholverbot für drei Jahre.
Es gibt ein Rauchverbot für zwei Jahre.
Es werden keine Soldaten aus dem russisch besetzten Gebiet zurückkommen. Ebenso können keine Soldaten nach dem von den Russen besetzten Gebiet zurückgehen.
Die Amerikaner nehmen uns unser letztes Essen.
Man fragt sich: Und wo ist die Gegenpropaganda?

Die Antifa (Antifaschistische Aktionsausschüsse)

In den ersten Tagen des Zusammenbruches hatten sich in den verschiedenen Teilen Frankfurts Gruppen von Antifaschisten zusammengetan. Darin führend waren SP und KP-Genossen. In manchen Stadtteilen waren sie bis zu 50 Mann stark. Zur Aktion gekommen sind hauptsächlich Eschersheim-Heddernheim und Riederwald. Die Gruppen verhafteten Nazis, warfen sie aus ihren Wohnungen und setzten ausgebombte Familien hinein. Sie nahmen den Nazis die Kleingärten weg und gaben sie an Bedürftige. Sie stellten Nazi-Arbeitskolonnen auf. Die vom Bahnhofsviertel bewachten das Gewerkschaftshaus, um es vor Zerstörung zu schützen. Aber auch, um es vor den zurückkehrenden Bonzen zu bewahren. In den ersten Tagen konnten Gewerkschaftsfunktionäre das Gewerkschaftshaus nur mit ihrer Erlaubnis betreten. Dieser Gruppe gelang es auch, als schon alle Banken geschlossen waren, bei der Arbeiterbank ein Konto zu bekommen, von dem aus sie ihre Leute bezahlten. Sie wollten auch die Neugründer der Gewerkschaften sein. Wurden aber nicht anerkannt.
Die Antifa wurde dann sehr schnell von der Militärbehörde verboten. Es sollen zweifelhafte Elemente unerlaubterweise mit gefälschtem Ausweis Sachen beschlagnahmt haben. Eine Reihe der führenden Mitglieder wurde verhaftet.

Die Gewerkschaften

Mit einer Liste von 20 Gewerkschaftern, meistens bezahlte Funktionäre von früher, stellten sich die Kollegen Richter und Schäfer bei den Amerikanern vor. Es wurde ihnen erlaubt, in einem Haus des früheren Baugewerksbundes2 ihre Zentrale zu errichten. Von da begann die Organisation der Betriebsvertrauensleute. Es wurden Fragebogen an die früheren Funktionäre der Betriebe gegeben. Die Kollegen haben diese Bogen ausgefüllt und auch Listen über die zu entfernenden Nazis beigelegt. Es sind z.B. in der Metallindustrie in 43 Betrieben Betriebsvertretungen. Die Gemeindearbeiter (Straßenbahn, Wasser, Elektrizität, Krankenhäuser usw.) sind auch schon gut organisiert. Ebenso die Eisenbahner.
Ich habe an einer Sitzung der Gemeindearbeiter teilgenommen. Es waren über 40 Vertreter der Betriebe anwesend. Die meisten waren ältere Kollegen, die vor 1933 schon alte Gewerkschafter waren.
Ihre Hauptprobleme sind:
Wie kann man die Reinigung der Betriebe von den Nazis voranbringen?
Wie können wir unsere Anerkennung durchsetzen, damit wir bei Entlassungen, Einstellungen, Lohn- und Arbeitszeitverhandlungen mitzubestimmen haben?
Bei der Diskussion über die Kriegsschuld wurde eine Kollektivschuld abgelehnt. – Viele Kollegen sind mit den in London gemachten Vorschlägen3 einverstanden. Sie sind auch für eine Einheitsgewerkschaft. Im Augenblick sind es aber die Kollegen der Freien Gewerkschaften, die an der Arbeit sind. Mit den Christlichen besteht ein guter Kontakt. Die Organisation geschieht im Augenblick nach Berufen. Hier einige Beispiele, wieviel Arbeiter in den Betrieben sind. Viele Betriebe produzieren noch nicht, sie machen Aufräumungsarbeiten.
(Mai – Juni 1945)
Alfred Teves – 108 Arbeiter – 97 Angestellte
(Werk Fechenh. u. Bonames) – 161 – 118
Adler Werke (Heinrich Kleyer) – 648 – 250
Opel (Haus Frankfurt) – 94 – 54
Claus Meyer, Glasdachfabrik – 60 – 15
Hartmann & Braun – 500 – 175
Hartmann & Braun hatte während des Zusammenbruches 4016 Arbeiter.
Fries & Sohn – 350 – 80
Von der DAF ist noch Vermögen da, das von den Amerikanern beschlagnahmt worden ist. Alle Gewerkschaftsarbeit wird noch ehrenamtlich getan. Doch soll jetzt Geld zur Verfügung gestellt werden. Die Verbindung mit den Amerikanern ist sehr unbefriedigend. Während der paar Wochen der Besetzung hat der Verbindungsmann von den Amerikanern zu den Gewerkschaften schon viermal gewechselt. Durch diese unstabile Beziehung hängt die Arbeit noch sehr in der Luft, und Entscheidungen werden hinausgezögert. Mit einer Anerkennung der Gewerkschaften kann wohl in den nächsten Monaten noch nicht gerechnet werden.
Die Stimmung unter den Kollegen ist nicht sehr hoffnungsvoll. Die alten Kollegen haben schon sowieso nicht mehr viel Kraft. Die Jungen stehen abseits und warten, bis etwas von oben geschieht. Es scheint, als ob sie mit ihrer Freiheit nicht recht etwas anzufangen wissen. Viele sind auch noch zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt.

Die Maßnahmen der Amerikaner

Viele Deutsche scheinen schon vergessen zu haben, daß wir sechs Jahre Krieg hinter uns haben. Die glauben, die Amerikaner müßten ihnen so schnell wie möglich alles wiedergeben, was sie durch den Krieg verloren haben, und alles in Ordnung bringen, was durch den Krieg und die Zerstörungen bis jetzt noch nicht klappt. Ernährung, Transport, Wohnungen usw. Sie möchten am liebsten die Amerikaner für all das Durcheinander verantwortlich machen.
In den ersten Tagen haben die Soldaten den Plünderern sehr geholfen. Sie sind es gewesen, die die Türen mit den Gewehrkolben aufgestoßen haben. Auch sie selber haben Fahrräder, Fotoapparate usw. an sich genommen.
Großen Unwillen hat die Beschlagnahmung von Wohnungen für das Militär hervorgerufen. Die Leute wurden dabei mit einer Frist von nur wenigen Stunden auf die Straße gesetzt, ohne daß man ihnen eine andere Unterkunft angewiesen hätte. Die Soldaten erlaubten ihnen nur, das Notwendigste mitzunehmen. Es wurde bei dieser Maßnahme kein Unterschied gemacht, ob sie Nazis waren oder nicht. Später luden die Soldaten Möbel, Haushaltsgegenstände usw. auf und warfen es auf die Schuttabladeplätze oder in Bombenlöcher. In Heddernheim wurden die Sachen dann verbrannt. Die Familie Gehm hat auf diese Weise fast all ihre Sachen verloren, die sie aus den Trümmern ihrer ausgebombten Wohnung gerettet hatte.
Viele Antifaschisten und Linke haben erwartet, daß für sie die Amerikaner als Befreier kommen. Sie haben auch sofort ihre Mitarbeit angeboten. Mancher hat aber dabei die traurige Erfahrung machen müssen, daß man ihn kalt und ablehnend behandelt hat.
In der Verwaltung werden Katholiken bevorzugt. Der Polizeipräsident ist ein Katholik.4 Der Bürgermeister Hollbach ist ein ehemaliger Redakteur der „Frankfurter Zeitung“, dann war er Schriftleiter des „Illustrierten Blattes“.
Die Linken haben kürzlich einen Wiederaufbau-Ausschuß5 gebildet. In ihm sind die SP, die KP und das Zentrum vertreten. Er wird nur beratende Funktion haben, wenn er anerkannt wird.
Politisch gibt es einen Aktionsausschuß der Union6 In der Union befinden sich in der Hauptsache SP-Genossen. Sie bekennen sich zu dem in London ausgearbeiteten Programm der Union.7 Der Leiter ist der Genosse Knothe (SP und früher Bezirksleiter der SAJ, Wetzlar). Seine Hauptaufgabe sieht er im Augenblick in der Herausgabe einer Zeitung.

(LV)


  1. Dienststellenleiter der Gestapoaußenstelle Offenbach war seit 1940 der am 3. Juni 1897 in Mainz geborene Hans Felten. Er war bekannt als der „Schrecken von Offenbach“. Nach 1945 wurde er für zwei Jahre in Ludwigsburg interniert. Als Belasteter eingestuft, wurde er im Juli 1948 zu zwei Jahren Arbeitslager, Einziehung des Vermögens und zehnjährigem Berufsverbot verurteilt. Wegen der zweijährigen Interniemng galt die Haftstrafe als verbüßt. Feiten lebte nach 1945 in Berlin-Zehlendorf. Schriftliche Auskunft des Stadtarchivs Offenbach am Main, 21. Dezember 1990.
  2. Der Baugewerksbund war bis 1933 die Gewerkschaft der Bauarbeiter in Deutschland. Er wurde 1923 gegründet und ging auf den Deutschen Bauarbeiterverband zurück (gebildet 1910 aus dem Zentralverband der Maurer bzw. der Bauhilfsarbeiter). Eine umfangreiche Zusammenfassung über Dokumente zur Geschichte des Baugewerksbundes bei Bärhausen/Meyer/Zimmermann, Baugewerkschaften, S. 36-43.
  3. Gemeint sind die Vorschläge der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Großbritannien zur Errichtung einer Einheitsgewerkschaft nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes. Vgl. hierzu u.a. Röder, Exilgruppen; Borsdorf, Dokument, S. 677ff. u. Jacobi-Bettien, Metallgewerkschaft, S. 79-84.
  4. Gemeint ist der Frankfurter Polizeipräsident Ferdinand Mührdel (1888–1961).
  5. Gemeint ist der Ausschuß der Antifaschistischen Organisation (AFO), der sich aus vier Sozialdemokraten, vier Kommunisten und einem Zentrumsmann, der offenbar keine wichtige Rolle spielte, zusammensetzte. Später bestand das paritätisch zusammengesetzte Führungsgremium aus ca. 13 KPD- und SPD-Leuten. Dazu kam ein größerer Kreis von Sympathisanten. Aktivitäten waren u.a. Arbeitseinsätze von Nationalsozialisten in den Trümmern und Organisation von Wohnungen und Lebensmitteln. Vgl. hierzu Niethammer/Borsdorf/Brandt, Arbeiterinitiative 1945, S. 422-428.
  6. Die „Union der Sozialisten“ wurde Ende Mai 1945 von Wilhelm Knothe ins Leben gerufen. Ziel war die Errichtung einer politischen Einheitsfront von SPD, ISK und SAP. Trotz enger Zusammenarbeit mit der KPD wollte die Union ein Gegengewicht zu kommunistischen Aktivitäten liefern. Vgl. Antifaschistische Organisationen und Tendenzen im Frankfurter Raum 18.6.1945; in: Borsdorf/Niethammer, Befreiung, S. 95.
  7. Vgl. Rüther/Schütz/Dann, Deutschland im ersten Nachkriegsjahr, S. 53.
Records
Additional Information
Recommended Citation
„Bericht über die Lage in Frankfurt, Juni 1945“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/subjects/idrec/sn/edb/id/5631> (Stand: 9.12.2022)
Events in May 1945 | June 1945 | July 1945
FriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSatSunMonTueWedThuFriSat
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30