Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Contemporary History in Hessen - Data · Facts · Backgrounds

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Luftkrieg

  1. Allgemeine Informationen
  2. Area Bombing Directive des britischen Luftfahrtministeriums
  3. No. 5 Bomber Group der Royal Air Force
  4. Gießen
  5. Darmstadt
  6. Hanau
  7. Kassel
  8. Wiesbaden

1. Allgemeine Informationen

Als „Bombenkrieg“ gegen die städtischen Zentren im Gebiet Hessens werden die zwischen 1942 und 1945 als Flächenbombardierungen durchgeführten Luftangriffe der alliierten Streitkräfte bezeichnet, die besonders in Kassel, Gießen, Hanau, Darmstadt, Wiesbaden, Frankfurt am Main, Offenbach am Main, Rüsselsheim, Dietzenbach, Fulda, Bensheim und Bad Vilbel, aber auch in zahlreichen anderen und kleineren Orten zur großflächigen Zerstörung der Bausubstanz im Stadtkern führten und Abertausende von Opfern forderten.

2. Area Bombing Directive des britischen Luftfahrtministeriums

Die Durchführung systematischer Flächenbombardements war 1942 als Area Bombing Directive durch das britische Luftfahrtministerium angewiesen worden. Diese Angriffe, die ab 1942 von der britischen Luftwaffe gezielt gegen die Zivilbevölkerung deutscher Städte geflogen wurden, kosteten schätzungsweise zwischen 420.000 und 570.000 Menschen das Leben. Als Hauptverantwortlicher für die Umsetzung der Flächenbombardierungen ist Arthur Harris (1892–1984; „Bomber-Harris“) bekannt, unter dessen Führung das Bomber Command der Royal Air Force (ab 1943 mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe) bis Kriegsende systematisch eine Vielzahl von Groß- und Mittelstädten in Deutschland zerstörte.

Bombardements zur Zerstörung der Moral der Zivilbevölkerung

Wenige Tage vor dem Amtsantritt von Arthur Harris als Oberbefehlshaber des Bomber Command der britischen Luftwaffe erteilte die militärische Leitungsbehörde der Luftstreitkräfte, das Air Staff (Luftstab), eine förmliche Direktive, die Arbeit der Bomberflotte „auf die Moral der feindlichen Zivilbevölkerung“ zu konzentrieren. Dabei dachte man vor allem daran, die Wohnstätten der deutschen Industriearbeiterschaft zu treffen, um den Durchhaltewillen der in der Kriegsproduktion beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter an der „Heimatfront“ zu brechen. Auf diesem Weg sollte der Rückhalt des NS-Regimes in der Bevölkerung geschwächt werden. Entsprechend lautete die am 14. Februar 1942 herausgegebene Direktive des Air Staff: „It has been decided that the primary objective of your operations should be focused on the morale of the enemy civil population and in particular the industrial workers“.

Grundlage für diesen Strategiewechsel der britischen Luftwaffe1 war eine als „Dehousing Paper“ bezeichnete Beschlussvorlage, die durch den wissenschaftlichen Berater der britischen Regierung, den Physiker Professor Frederick Lindemann, 1. Baron Cherwell (1886–1957) ausgearbeitet worden war und Ende März 1942 dem britischen Premierminister Winston Churchill (1874–1965) übersandt wurde.

Das hinter der Area Bombing Directive stehende Konzept beruhte auf Vorstellungen über den strategischen Luftkrieg aus dem Ersten Weltkrieg. Eigentlicher Ausgangspunkt der Area Bombing Directive war die sogenannte Trenchard-Doktrin, benannt nach Hugh Trenchard (1873–1956), der die britische Luftwaffe federführend mitbegründete und ab Anfang 1918 als Oberkommandierender der britischen Luftwaffe (Chief of the Air Staff) amtierte. Die Trenchard-Doktrin besagt im Kern, dass aus Sicht der britischen Streitkräfte die Zerstörung der gegnerischen Rüstungsindustrie und der Transportwege zur Front mit Fernbombern einer direkten Feldschlacht mit den gegnerischen Streitkräften vorzuziehen sei. Dabei dachte Trenchard zu Ende des Ersten Weltkriegs besonders daran, dass das Ziel eines Krieges nicht nur die Zerstörung der militärischen Kampffähigkeit eines Feindstaats sein müsse, sondern auch die Zerstörung des Willens seiner Bevölkerung. Die Annahme, dass die Bombardierung von Wohngebieten anstelle militärischer Anlagen den Kampfwillen der Zivilbevölkerung in kurzer Zeit brechen würde, erwies sich im Zweiten Weltkrieg allerdings als Trugschluss.

Man hoffte, durch die systematische Zerstörung der Wohnstätten großer Teile der Zivilbevölkerung und die Inkaufnahme massenhafter Opfer Aufstände gegen die Regierung des Feindstaats auszulösen, um aus der Destabilisierung des Gegners einen kriegswichtigen Vorteil ziehen zu können. Lord Cherwell stützte seine Erkenntnisse und Empfehlungen allerdings auf Studien, die zur Wirkung des deutschen Bombardements britischer Städte wie Birmingham und Kingston upon Hull erstellt worden waren. Er äußerte sich zuversichtlich, dass die Zerstörung der Wohnstätten der deutschen Arbeiter und ihrer Familien „would doubtlessly break the spirit of the people“.

Der 1940 amtierende Leiter des Air Staff, Charles Portal (1893–1971), formulierte konkretisierend zum Leitsatz der Bombing Directive: „ I suppose it is clear the aiming points will be the built up areas, and not, for instance, the dockyards or aircraft factories […]. This must be made quite clear if it is not already understood.”2

Kritik

Die gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Flächenbombardements der alliierten Luftstreitkräfte waren angesichts der zu erwartenden verheerenden Wirkung und unter dem Eindruck der gegen die Briten selbst gerichteten Flächenbombardierungen in den Jahren 1940 und 1941 bereits vor ihrer Durchführung hoch umstritten. Zu den prominenten Gegnern der Direktive zählte der anglikanische Bischof George Kennedy Allen Bell (1883–1958), ein führender Vertreter der Ökumene und ab 1937 als Lord Spiritual Mitglied des britischen Oberhauses. Er verurteilte 1943 im Parlament das area bombing als eine Strategie, die alle humanen und demokratischen Werte in Frage stelle, für die Großbritannien den Krieg gegen Nazideutschland führe.3 Unter dem Eindruck der verheerenden Auswirkungen der im Zweiten Weltkrieg durchgeführten Flächenbombardements wurde der Schutz von Zivilpersonen im Genfer Abkommen von 1949 neu geregelt (Konvention IV „über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten“) und später durch einen Artikel im Zusatzprotokolls des Abkommens von 1977 (Artikel 51 zum „Schutz der Zivilbevölkerung“) präzisiert. Demnach gelten derartige Flächenbombardements heute als Kriegsverbrechen.

3. No. 5 Bomber Group der Royal Air Force

Wichtige Bedeutung für die Bombardierung mehrerer hessischer Großstädte erlangte die No. 5 Bomber Group der britischen Luftwaffe (Royal Air Force), die eine auf die systematische Zerstörung ziviler Flächenziele spezialisierte Einheit darstellte. Sie war ab 1942 mit schweren viermotorigen Bombern vom Typ Avro Lancaster ausgerüstet, die jeweils 6.350 Kilogramm Bomben mitführen konnten. Die No. 5 Bomber Group war unter anderem für die verheerenden Flächenbombardements auf Kassel und Darmstadt verantwortlich, daneben aber auch für die größten Angriffe auf Dresden, Braunschweig, Königsberg, Pforzheim und Hamburg.

4. Gießen

Die Universitätsstadt Gießen, während des Zweiten Weltkriegs Militärstandort und Verkehrsknotenpunkt, wurde am 2. Dezember 1944 und insbesondere in der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 1944 durch Bombardements der britischen Luftwaffe schwer getroffen. Besonders die am 6. Dezember im Rahmen der Area Bombing Directive gestartete Operation „Hake“ (Hecht) vernichtete nahezu den gesamten historischen Stadtkern Gießens durch einen Feuersturm. Dabei kamen etwa 390 Menschen ums Leben. Die als Ziele anvisierten Bahnanlagen und zahlreiche Militäreinrichtungen blieben dagegen weitgehend intakt.5

5. Darmstadt

Die südhessische Stadt Darmstadt wurde ab Sommer 1940 zum Ziel alliierter Luftangriffe. Ein erster Luftalarm wurde am 8. Juni 1940 ausgelöst. Angriffe von alliierten Kampfflugzeugen erfolgten am 30. Juli, am 27. August und am 2. September 1940, richteten jeweils aber nur Sachschaden an. Bei einem erneuten Luftangriff am 22. Juli 1941, den die britische Luftwaffe auf mehrere Städte im Rhein-Main-Gebiet führte, und dabei auch Darmstadt attackierte, waren zehn Tote und 25 Verletzte zu beklagen. Die Bomben zerstörten eine Reihe von Häusern in der Kranichsteiner Straße, der damaligen Lagerhausstraße (heute Julius-Reiber-Straße), der Liebfrauenstraße und der Pankratiusstraße. Ab Herbst 1943 wurde Darmstadt in wachsendem Maße zum Ziel von Luftangriffen. Der erste Großangriff durch die Royal Air Force erfolgte am 23. September 1943, zerstörte Teile der Altstadt (162 Gebäude wurden zerstört und 210 beschädigt) und forderte 149 Menschenleben. Während der ersten Jahreshälfte 1944 wurde die Stadt wiederholt aus der Luft angegriffen.

Verheerende Wirkung zeigte ein Großangriff der britischen Luftwaffe in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944. Die als sogenannte Brandnacht bezeichnete Bombardierung der dichtbesiedelten Innenstadt und der anschließende Feuersturm kostete schätzungsweise zwischen 11.000 und 12.000 Menschen das Leben. Rund 70.000 Menschen wurden obdachlos und etwa 80 Prozent der Altstadt zerstört.5

Bei dem Angriff auf Darmstadt erprobte die britische Luftwaffe eine als Fächerangriff bezeichnete Taktik, bei der tausende Sprengbomben in der Form eines Viertelkreises sowie mehrere hundert Luftminen abgeworfen wurden und deren Explosions-Druckwellen die Hausdächer aufriss. Im Anschluss warf man mehr als 250.000 Stabbrandbombe (sogenannte Elektron-Thermitstäbe) über dem Stadtgebiet ab, die in die aufgerissenen Dachstühle der Häuser fielen und diese durch eine starke Stichflamme in kurzer Zeit in Vollbrand versetzten. Ein letzter schwerer Angriff auf Darmstadt wurde am 12. Dezember 1944 geflogen. Hauptziel der Bomber waren dabei die schon bei früheren Angriffen beschädigten Werkanlagen der Firma Merck und die als Hersteller von Plexiglas für den Flugzeugbau wichtige chemische Fabrik Röhm & Haas.

Setzt man die Intensität der alliierten Bombardements und das Ausmaß der durch sie verursachten Zerstörungen ins Verhältnis zu Größe und Einwohnerzahl der Stadt, war Darmstadt nach Pforzheim (Baden-Württemberg) die am schlimmsten vom Bombenkrieg betroffene deutsche Stadt im Zweiten Weltkrieg. Von den damals etwas mehr als 100.000 Einwohnern verloren etwa zehn Prozent durch Luftangriffe ihr Leben.6

6. Hanau

Anders als die meisten anderen der großen hessischen Städte blieb die im Osten des Rhein-Main-Gebiets gelegene Stadt Hanau bis Ende 1944 weitgehend von großflächigen Zerstörungen verschont und wurde bis zu diesem Zeitpunkt nur sporadisch zum Ziel alliierter Luftangriffe.

Erste Bomben fielen in der Gegend um Hanau in der Nacht zum 11. August 1940 auf die rund sieben Kilometer nördlich der Stadt gelegene Ortschaft Bruchköbel, die am 6. Mai 1941 zusammen mit anderen Orten im Kreis Hanau erneut das Ziel feindlicher Bombenabwürfe wurde.

Innerhalb des Hanauer Stadtgebietes gingen die ersten Bomben in der Nacht zum 11. Mai 1941 nieder. Es folgten weitere Luftangriffe am 24. Juli 1941 und in der Nacht zum 2. April 1942, als britische Tiefflieger im Rahmen der Operation „Lineshoot“ Eisenbahnknotenpunkte zwischen Hanau und Lohr (Landkreis Main-Spessart) attackierten. Diese Angriffe richteten vergleichsweise geringe Zerstörungen an.

In der Folgezeit galt Hanau als „luftgefährdet“, weitere Angriffe erfolgten aber nicht. Im Herbst 1943 häuften sich die Luftangriffe auf Frankfurt am Main, Offenbach am Main und Darmstadt. In der Umgebung Hanaus wurden am 26. November bei einem nächtlichen Angriff auf das Maingebiet Brandbomben abgeworfen, die aber die Stadt nicht trafen. Am 4. Februar 1944 erfolgten Luftangriffe auf mehrere Orte im ehemaligen Landkreis Hanau. Schließlich aber kam es am 25. September 1944 zu einem schweren Tagangriff der amerikanischen Luftwaffe. Bomber der Achten US-Luftflotte (8th USAAF) warfen ihre Bombenlast über der Stadt ab. Bei diesem Angriff starben 88 Menschen. Die US-Luftwaffe flog am 5. November 1944 einen weiteren Angriff auf den Haupt- und Verschiebebahnhof, zwei weitere Tagangriffe der Amerikaner sowie zwei Nachtangriffe der Briten erfolgten im Dezember. Am 5. Januar 1945 bombardierte die US-Luftwaffe den Ostteil der Stadt. Der Angriff richtete sich insbesondere gegen den Hauptbahnhof, gegen Kasernen und Industrieanlagen, darunter auch die Reifen- und Gummischuhfabrik Dunlop.7

Der erste wirkliche Großangriff auf Hanau folgte tags darauf am 6. Januar 1945. Am Abend dieses Tages fielen fast zwei Dutzend Luftminen, schätzungsweise 5.000 Spreng- und 3.000 Flüssigkeitsbrandbomben sowie unzählige Stabbrandbomben auf die Stadt. Im Stadtteil Mittelbuchen zerstörten die Bomben die Kirche, das Pfarrhaus und einige andere Häuser; insgesamt fanden 90 Menschen den Tod.

Am 19. März 1945, nur wenige Wochen vor Kriegsende, kam es in den frühen Morgenstunden zu einem weiteren, verhängnisvollen Luftangriff der Royal Air Force, ausgeführt von der No. 5 Bomber Group. Mehr als 200 Lancaster-Bomber entluden ihre tödliche Fracht über dem als vorrangiges Ziel ausgewählten Stadtzentrum. Die Wirkung des Angriffs war katastrophal. Dem Abwurf von 525 Tonnen Sprengbomben und mehr als 650 Tonnen Brandbomben folgte ein Feuersturm. Mehr als 2.500 Menschen kamen bei der Bombardierung und dem dadurch ausgelösten Großbrand ums Leben. Der Stadtkern Hanaus wurde zu 90 Prozent zerstört, etwa 80 Prozent der gesamten Bausubstanz der Stadt fiel in Trümmer. Die Innenstadt und Altstadt Hanaus wurden so stark verwüstet wie in keiner anderen Stadt in Hessen.

7. Kassel

Die nordhessische Großstadt Kassel bildete im Zweiten Weltkrieg ein wichtiges Angriffsziel. Hier befand sich ein wichtiges Rüstungszentrum für die Produktion von Panzern, Lokomotiven, Lastkraftwagen und Flugzeugmotoren. Einige der an über 20 Standorten innerhalb Kassels und in seiner Umgebung ansässigen Rüstungsunternehmen und ihre Produkte zählten zu den wichtigsten im Deutschen Reich. Die Firma Henschel hatte als Hersteller von Lokomotiven eine Spitzenstellung inne und war einer der drei größten Panzerproduzenten im Deutschen Reich. Andere Unternehmen wie Wegmann, Junkers und die Fieseler-Werke lieferten zentrale Bauteile für anderswo endmontierte, kriegswichtige Waffen und entwickelten neue technische Erzeugnisse für den Einsatz im Krieg.

Kassel gilt neben Darmstadt, Dresden, Hamburg und Pforzheim als eine der in ihrem Kern durch die alliierten Bombardements am schwersten zerstörten Städte in Deutschland. Sie erlebte am 22. Oktober 1943 im Rahmen der britischen Area Bombing Directive einen besonders schweren Luftangriff, bei dem nach Schätzungen etwa 7.000 Menschen ums Leben kamen. In der Altstadt wurden 97 Prozent aller Wohnhäuser zerstört, in den äußeren Stadtbezirken 80 Prozent.8 Wie im Jahr darauf bei dem großen Luftangriff auf Darmstadt (am 11./12. September 1944) führte die britische Luftwaffe den Angriff mit einer als „Fächertaktik“ bezeichneten Vorgehensweise durch. Die Bomberverbände markierten das Zielgebiet rund um den zentral gelegenen Martinsplatz in der Nähe der Unteren Königsstraße mit Leuchtbomben (im Volksmund: „Christbäume“) in Form eines Viertelkreises, um eine möglichst präzise Orientierung auf das Angriffsziel zu erhalten und die Wirkung der darauffolgenden Abwürfe zu maximieren. Dem Bombardement fiel innerhalb von 22 Minuten die gesamte mittelalterliche Altstadt zum Opfer. Die Explosions-Druckwellen tausender Sprengbomben und einiger Hundert schwerer Luftminen rissen die Dächer auf. Mehr als 400.000 über dem Stadtgebiet abgeworfene Stabbrandbomben, die in die offenen Dachstühle fielen, setzten die meist aus Fachwerk bestehenden Häuser innerhalb kürzester Zeit in Brand und entfachten einen Feuersturm, der zahllose, in den Kellern Schutz suchende Menschen das Leben kostete. Sie erstickten aufgrund Sauerstoffmangels.

Zum ersten Luftangriff auf Kassel kam es in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1940. Dabei war das 1911 zur Stromversorgung der Stadt errichtete Lossekraftwerk am nördlichen Rande des Kasseler Stadtteils Bettenhausen Ziel der angreifenden Flugzeuge. Erste größere Schäden entstanden bei einem weiteren Luftangriff, bei dem in der Nacht vom 16. auf den 17. August mehrere Häuser in der Gräfestraße stark beschädigt wurden. Zwei Menschen kamen bei dem Angriff ums Leben. Im darauffolgenden Oktober sowie im Herbst 1941 fielen Bomben bei kleineren Luftschlägen britischer Flugzeuge auf Kassel und richteten Sachschäden an. Im Jahr 1942 erfolgte nur ein größerer Luftangriff, der im Stadtgebiet allerdings erhebliche Schäden anrichtete. Die Auswirkungen der Zerstörung der Edertalsperre am 17. Mai 1943 waren bis nach Kassel hinein zu spüren.9 Die Flutwelle, die sich durch das Fuldatal bis zum Weserstein (Hann. Münden) und schließlich ins Wesertalergoß, überflutete die Fuldadämme. Das Hochwasser stand anschließend in der Aue, in der Unterneustadt und in der Altstadt.

Ein erster Tagangriff von Kampfflugzeugen der US Army Air Forces (USAAF1) auf Kassel fand am 28. Juli 1943 statt. Geplantes Hauptziel des Angriffs der 8th US Air Force waren die Fieselerwerke in Bettenhausen und Waldau sowie die Gebäude der mit der Herstellung von Zellwolle befassten Spinnfaser AG und der Motorenbau Werk Kassel (ein Zweigwerk der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG Dessau). Tatsächlich wurden aber größtenteils Wohnhäuser im Stadtteil Bettenhausen und in der Fieseler-Siedlung im Stadtteil Forstfeld südlich von Bettenhausen getroffen. Insgesamt starben bei dem Angriff 45 Menschen aus Kassel. Betroffen durch das Bombardement wurden auch ausländischen Zwangsarbeiter, die unter anderem in unterhalb des Eichwaldes (Stadtteil Bettenhausen) errichteten Baracken untergebracht waren.

Obwohl ein Großteil der von den US-Bombern über Kassel abgeworfenen Sprengkörper ihr eigentliches Ziel verfehlten, waren vor allem die bei MWK (Junkers) angerichteten Schäden beträchtlich. Aufgrund der beiden Tagangriffe der amerikanischen Verbände verringerte sich der Leistungsgrad des Werkes nach Angaben der Unternehmensleitung im August 1943 um 75 Prozent und im darauffolgenden September immerhin noch um 50 Prozent. Mehr als 250 Bombeneinschläge hatten etwa 30 Prozent der Gebäude zerstört. Als Reaktion auf die Angriffe verlagert MWK, als Kasseler Zweigwerk der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG Dessau hauptsächlich mit der Serienfertigung von Baugruppen und Teilen für Flugzeugmotoren beschäftigt, einen Teil der kaufmännischen Büros und der Konstruktion auf verschiedene andere Standorte innerhalb Kassels.

Bei einem britischen Nachtangriff kam es am 3. Oktober 1943 im Stadtteil Sandershausen zu einem tragischen Kriegsereignis, das sich bis heute in das Gedächtnis der Kasseler Bevölkerung eingebrannt hat. Ein Reihenwurf schwerer Sprengbomben, der eigentlich für die Altstadt gedacht war, tötete 23 16- und 17-jährige Schüler der Friedrich-Wilhelm-Schule in Eschwege, die als Luftwaffenhelfer nach Kassel gekommen waren.10 1943 begann man damit, reguläre Flak-Soldaten der ortsfesten Flak-Batterien an die Bodenfronten abzuziehen und sie durch andere Kräfte zu ersetzen. Neben „hilfswilligen“ Kriegsgefangenen zog man Personal aus den Abteilungen des Reichsarbeitsdienstes heran. Arbeiter mussten in der Nähe ihrer Fabriken zu Nachteinsätzen an den Geschützen der Luftabwehr Dienst tun. Schließlich prüfte man die Möglichkeit, auch Schüler und Lehrlinge im Rahmen des Kriegshilfsdienstes bei der Reichsverteidigung im Luftkrieg als Luftwaffenhelfer einzusetzen. Die ersten Luftwaffenhelfer des Jahrgangs 1926 wurden im Februar 1943 eingezogen; fünf Monate später folgte der Jahrgang 1927. Die Absicht, neben dem militärischen Dienst auch den Schulunterricht für die Jugendlichen fortzuführen, erwies sich nur bedingt als praktikabel.

Insgesamt erfolgten auf Kassel bis zum 21. März 1945 vierzig Luftangriffe, an denen zusammen zwischen 6.000 und 7.000 alliierte Flugzeuge beteiligt waren. Rund 18.000 Tonnen Bomben fielen auf die Stadt. Schätzungsweise 12.000 Menschen fanden dabei den Tod. Dem Ausmaß der Zerstörung nach wird Kassel dabei eine der am schwersten getroffenen Städte in ganz Hessen. Der 1946 für die nordhessische Metropole ermittelte Zerstörungsgrad bezifferte sich auf 77,6 Prozent.11

8. Wiesbaden

Die ehemalige herzogliche Residenzstadt Wiesbaden wurde zwischen August 1940 und März 1945 an insgesamt 66 Tagen durch alliierte Bombenflugzeuge angegriffen. Dabei verloren schätzungsweise etwa 1.700 Menschen ihr Leben. Bis Kriegsende zerstörten die Bombenabwürfe britischer und amerikanischer Kampfflugzeuge 22,3 Prozent der Wohnungen.

Den schwersten Luftangriff erlebte Wiesbaden in der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1945. Obwohl der Angriff der britischen Luftwaffe aufgrund des schlechten Wetters teilweise das geplante Zielgebiet verfehlte, wurden unter anderem das Kurviertel, die Marktkirche, das Stadtschloss und das Rathaus stark in Mitleidenschaft gezogen. Der Volltreffer einer Luftmine in das Lyzeum neben der Marktkirche am Schloßplatz brachte das Bauwerk zum Einsturz und begrub viele Wiesbadener, die in dem als Luftschutzbunker dienenden Keller des Lyzeums Schutz gesucht hatten, unter sich. Insgesamt starben bei dem Luftangriff zwischen 500 und 600 Menschen, etwa 28.000 Einwohner der Stadt wurden obdachlos.12

Kai Umbach


  1. Bis 1942 hatten sich die Bombenangriffe britischer Flugzeuge auf Punktziele wichtiger Schlüsselindustrien in Deutschland gerichtet. Dazu erwies sich jedoch die materielle und technische Lage der Royal Air Force in den ersten Kriegsjahren als unzureichend. Eine Auswertung der Bombardements von Industrieanlagen im August 1941 machte deutlich, dass man die Effektivität dieser Angriffe völlig falsch eingeschätzt hatte. Nur etwa ein Drittel der eingesetzten Bombenflugzeuge gelangten wirklich in Zielnähe. Dies löste 1941/42 Überlegungen zu einem grundsätzlichen Strategiewechsel aus, der schließlich zur Hinwendung auf das Flächenbombardement deutscher Städte führte.
  2. Vgl. Charles Webster/Noble Frankland, The strategic air offensive against Germany: 1939–1945, Vol. 1: Preparation (History of the Second World War: United Kingdom Military Ser.), London 1961, S. 323 ff.
  3. Bell nahm am 9. Februar 1944 im britischen Oberhaus Stellung. Er zeigte sich bestürzt, wie weit man die Zerstörung der europäischen Kultur nun auch von alliierter Seite noch treiben wolle. Wenn man Hitler als einen Barbaren betrachte, dürfe sein Vorgehen nicht ein Vorbild für eigene Handlungen sein. Seine Forderung, bei den Luftschlägen stärker zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden und die Zerstörung ganzer Städte als unverhältnismäßig zu betrachten, löste im Parlament tumultartigen Widerspruch aus. Die von Bell vertretene Meinung, dass mit einer Bombardierung städtischer Wohnbezirke die Wut der Deutschen entfacht und der Rückhalt für Hitler gestärkt werde, fand auch in der britischen Bevölkerung keinen Widerhall. Vgl. Rolf-Dieter Müller, Der Bombenkrieg 1939–1945, Berlin 2004, S. 183.
  4. Vgl. Schlagetter-Bayertz, Gießen im Bombenkrieg. Die Luftangriffe im Dezember 1944 (Serie: Deutsche Städte im Bombenkrieg), Gudensberg-Gleichen 2004#124926169, S. 26 ff.
  5. Vgl. Dieter Busch, Der Luftkrieg im Raum Mainz während des Zweiten Weltkrieges 1939–1945 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 9), Mainz 1988, S. 129.
  6. DFG-VK Darmstadt: Lexikon „Von Adelung bis Zwangsarbeit – 173 Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt“, URL: http://www.dfg-vk-darmstadt.de/Lexikon_Auflage_2/Brandnacht.htm (abgerufen am 1.12.2014).
  7. Eckard Sauer, Absturz im Kinzigtal. Die Luftfahrt im hessischen Kinzigtal von 1895 bis 1950, Gründau 2011, S. 159 ff.
  8. Vgl. Stadt-Kassel.de [Offizielle Website der Stadt Kassel]: Stadtinformation: Stadtgeschichte: Zäsur der Stadtgeschichte: die Bombennacht in Kassel am 22. Oktober 1943, URL: http://www.kassel.de/stadt/geschichte/zerstoerung/ (eingesehen am 11.12.2014).
  9. Helmuth Euler, Als Deutschlands Dämme brachen. Die Wahrheit über die Bombardierung der Möhne-Eder-Sorpe-Staudämme 1943, Stuttgart 1975, S. 93. Zum Ablauf der Hochwasserwelle vgl. Otto Kirschmer, Zerstörung und Schutz von Talsperren und Dämmen, in: Schweizerische Bauzeitung 67 (1949), Nr. 20 vom 14. Mai, S. 277-281 und Nr. 21 vom 21.Mai, S. 300-303, hier: Nr. 20 vom 14. Mai, S. 280 f.
  10. Hans-Dietrich Nicolaisen, Gruppenfeuer und Salventakt. Schüler und Lehrlinge bei der Flak 1943–1945, Band 2, Büsum 1993, S. 1332 ff. Vgl. dazu auch www.bunkermuseum.de: Letzter Feldpostbrief des Luftwaffenhelfers Werner Fröhlich an seine Eltern, URL: http://www.bunkermuseum.de/archiv_bunkermuseum/sandershausen_01/sandershausen.htm (eingesehen am 11.12.2014).
  11. HNA-Serie „60 Jahre Bombennacht“ – Bomben auf Kassel: Chronologie [via www.baunsberg.de, private Website von Herr Adam Ritze, Baunatal-Hertingshausen], URL: http://www.baunsberg.de/downloads/hnaseriebombennacht1943.s.pdf (eingesehen am 7.10.2013).
  12. Vgl. ausführlich: Thomas Weichel, Wiesbaden im Bombenkrieg 1941–1945. Die Schreckensnacht vom 2./3. Februar 1945, Gudensberg-Gleichen 2004.
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Datensätze 1 – 50 | → alle Datensätze anzeigen (Erweiterte Suche)

  1. Erster Angriff der britischen Luftwaffe auf Frankfurt, 4. Juni 1940
  2. Bericht über Klagen wegen unzureichenden Luftschutzes gegen feindliche Angriffe, 10. Juni 1940
  3. Erster Bombenangriff alliierter Flugzeug auf Kassel, 22. Juni 1940
  4. Meldungen über Fliegerangriffe auf Eschwege und Frankfurt, 11. Juli 1940
  5. Zweiter britischer Bombenangriff auf Kassel, 22. Juli 1940
  6. Erste Bombenabwürfe im Kreis Frankenberg, 11. August 1940
  7. Erste Fliegerbombe auf Marburg, 13. August 1940
  8. Schwere Schäden an Wohngebäuden und erste Todesopfer bei Angriff britischer Bomber auf die Kasseler Innenstadt, 16. - 17. August 1940
  9. Luftangriff auf Kassel verursacht nur geringe Schäden, 16. - 17. Oktober 1940
  10. Konstituierende Sitzung des „Air Attack on Dams Committee“ in Großbritannien, 11. April 1941
  11. Erster Bombenangriff auf Frankfurt, 30. August 1941
  12. Britischer Luftangriff auf das Rhein-Main-Gebiet und Frankfurt, 3. September 1941
  13. Schwerer alliierter Bombenangriff auf das Zentrum von Kassel und Zerstörung der Landesbibliothek im Fridericianum, 8. - 9. September 1941
  14. Bislang schwerster Luftangriff auf Frankfurt, 13. September 1941
  15. Verkauf von „Schewena-Kreuzen“ als Schutz bei Bombenangriffen, 23. Oktober 1941
  16. Nur begrenzte Schäden bei erneutem Luftangriff auf Kassel, 24. - 25. Oktober 1941
  17. Luftangriff auf Wiesbaden, 12. August 1942
  18. Luftkrieg auf hessische Städte wiederaufgenommen, 25. August 1942
  19. Schwerer Luftangriff der Royal Air Force auf Kassel, 27. - 28. August 1942
  20. Absturz eines britischen Kampfflugzeugs über Istha, 27. - 28. August 1942
  21. Bombenangriff auf Rüsselsheim, Frankfurt und Mainz, 9. September 1942
  22. Erster britischer Bomben-Großangriff auf Frankfurt, 11. April 1943
  23. Der Stabschef der britischen Luftwaffe trifft die endgültige Entscheidung zur Durchführung der „Operation Chastise“ und erteilt den Einsatzbefehl, 14. Mai 1943
  24. Verhängnisvoller Bombenangriff auf die Staumauer der Edertalsperre, 17. Mai 1943
  25. Nach der Zerstörung der Edertalsperre durch britische Bomber stehen Teile der Kasseler Innenstadt unter Wasser, 17. Mai 1943
  26. Britische Zeitungen veröffentlichen falsche Berichte über einen nach London geflohenen jüdischen Ideengeber für „Operation Chastise“, 18. Mai 1943
  27. Erster Tagangriff der US-Luftwaffe auf Kassel, 28. Juli 1943
  28. Zweiter schwerer Tagangriff amerikanischer Bomberverbände auf Kassel binnen 48 Stunden, 30. Juli 1943
  29. Britischer Luftangriff auf die Darmstädter Altstadt, 23. September 1943
  30. Schwerer Bombenangriff der britischen Luftwaffe auf Kassel trifft den östlichen Rand des Stadtgebietes, 3. Oktober 1943
  31. Die Stadt Frankfurt wird erstmals zum Ziel eines massiven Luftangriffs britischer Bomber, 4. - 5. Oktober 1943
  32. Geheimer Bericht des Sicherheitsdienstes der SS zur psychischen Wirkung des Luftkrieges, 14. Oktober 1943
  33. Schwere Schäden in der Murhardschen Bibliothek bei Luftangriff auf Kassel, 22.-23. Oktober 1943
  34. Schwerer Luftangriff auf Kassel, 22.- 23. Oktober 1943
  35. Bericht des Sicherheitsdienstes der SS zur Pressearbeit über den Luftkrieg, 28. Oktober 1943
  36. Schwerer Bombenangriff auf Frankfurt und Offenbach, 26. November 1943
  37. Tod Carlo Mierendorffs bei Bombenangriff auf Leipzig, 4. Dezember 1943
  38. Schwere Bomberangriffe auf Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet, 20. Dezember 1943
  39. Neujahrsaufruf Adolf Hitlers an das deutsche Volk, 1. Januar 1944
  40. Luftangriff auf Kassel, 21. Januar 1944
  41. Angriff der US-Airforce auf Frankfurt, 29. Januar 1944
  42. Angriff der amerikanischen Luftwaffe auf Frankfurt, 4. Februar 1944
  43. Geheimer Bericht zur Stimmung in der Bevölkerung nach fortgesetzten Luftangriffen, 4. Februar 1944
  44. Amerikanischer Luftangriff auf Frankfurt, 8. Februar 1944
  45. Schwerer Tagesangriff der US-Luftwaffe auf Frankfurt, 11. Februar 1944
  46. Erster schwerer Luftangriff auf Marburg, 22. Februar 1944
  47. Nächtlicher Angriff der britischen Luftwaffe auf Frankfurt, 19. März 1944
  48. Schwere Angriffe amerikanischer Bomberverbände auf Frankfurt, 20. März 1944
  49. Erneuter schwerer Bombenangriff der britischen Luftwaffe auf Frankfurt, 22.-23. März 1944
  50. Amerikanischer Bombenangriff auf Frankfurt, 24. März 1944