Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Synagogen in Hessen

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5219 Amöneburg
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Kurfürstentum Hessen 1840-1861 – 71. Amöneburg
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Rauischholzhausen Karten-Symbol

Gemeinde Ebsdorfergrund, Landkreis Marburg-Biedenkopf — Von Susanne Gerschlauer
Basic Data | History | Betsaal / Synagoge | Weitere Einrichtungen | References | Indices | Recommended Citation
Basic Data

Juden belegt seit

um 1693

Location

35085 Ebsdorfergrund, Ortsteil Rauischholzhausen, Potsdamer Straße | → Lage anzeigen

Rabbinat

Oberhessen

preserved

nein

Jahr des Verlusts

ca. 1939

Art des Verlusts

Zerstörung

Gedenktafel vorhanden

nein

Weitere Informationen zum Standort

Historical Gazetteer

History

1369 war der adeligen Familie der Rau von Holzhausen vom Mainzer Erzbistum der Ort Holzhausen zum Lehen übergeben worden. Durch die Ortsherrschaft der Familie Rau von Holzhausen wurde über die Jahrhunderte aus dem Ortsnamen Holzhausen der besitzanzeigende Name Rau's Holzhausen. Später verschliff sich der Name zu Rauischholzhausen und hob sich damit klar von den benachbarten Orten mit demselben Namen „Holzhausen“ ab. Bis 1873 war das Geschlecht dieser Familie als Grundherren in Rauischholzhausen beheimatet. Danach wurde der Besitz an den einflussreichen saarländischen Montanindustriellen F. E. Stumm verkauft, der mit seiner Familie seitdem dem Dorf durch ehrgeizige architektonische und soziale Projekte eine eigene Prägung gab (Neubau des Schlosses, einer Kirche, eines evangelischen Pfarrhauses, eines Gemeindehauses mit Kindergarten, eines Alten- und Erholungsheims sowie Neubau einer Schule; Förderung der Ansiedlung einer Apotheke, eines Arztes und einer Molkerei). Über fünf Jahrhunderte kontinuierlich währender Ortsherrschaft der Familie Rau von Holzhausen sowie, seit der Adelung 1888, die Dominanz der Freiherren von Stumm mit ihren erheblichen Modernisierungen verliehen dem Ort seinen bis heute erlebbaren Charakter. 1934 verkauften die Freiherren an die William-Kerkhoff-Stiftung, Bad Nauheim. Von 1945 an ist das Land Hessen Eigentümer des Schlossgrundes. Seitdem bestimmen vor allem die Aktivitäten u. a. der mit Landwirtschaft und Ernährung befassten Fachbereiche der Universität Gießen den kleinen Ort.1

Einer der ersten archivalischen Belege weist um 1693 einen in Rauischholzhausen lebenden Juden nach.2 Um 1725 sind vier jüdische Haushalte dokumentiert, 1749 wurden 22 Juden in Rauischholzhausen gezählt. Die Zahl der hier lebenden Juden stieg bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich an. 1861 lebten 78 Juden am Ort, welches einem Anteil von 12 Prozent an der Gesamtbevölkerung entspricht. Ihre Zahl sank danach rapide. 1925 waren 18 jüdische Rauischholzhausener gemeldet, dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von etwa 2,5 Prozent.3 Die vermutlich vor 1690 vollzogene aber nicht archivalisch überlieferte Ansiedlung von Juden sowie der relativ hohe Bevölkerungsanteil im 19. Jahrhundert hängen mit der Ansiedlungspolitik der adeligen Ortsherren zusammen, die sich u. a. durch die zu erwartenden Schutzabgaben wirtschaftlichen Vorteil versprachen. Der Rückgang liegt in der seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts fruchtenden Emanzipation der Juden sowie der einsetzenden Landflucht durch überwiegend wirtschaftlich motivierte Erwägungen begründet.

In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts war eine sephardische Familie im Ort wohnhaft (Meshullam). Teile der Familien zogen, nachdem sie einer zwangsweisen Namensänderung in Bachenheimer nicht entgehen konnten, nach Goßfelden (heute Ortsteil von Lahntal) um.4

Die Juden von Rauischholzhausen bildeten seit ca. 18235 gemeinsam mit den in Mardorf mit Rossdorf (bis ca. 1858) und, bis um 1938, mit den in Wittelsberg lebenden Juden eine Synagogengemeinde mit Sitz in Rauischholzhausen.6 Vorsitzende der Gemeinde waren um 1850 Hirsch Schaumburg, Jacob Bachenheimer und aus Wittelsberg Isaak Bier.7 Den Vorsitz der Synagogengemeinde von etwa 1924 bis um 1932 hatte Juda Rülf, Schriftführer war Davis Stern.8

Die Rauischholzhausener Juden waren Händler (Vieh, Eisenwaren, Nothandel) und Handwerker (Metzger, Seifensieder).9 In Rauischholzhausen lebte bis um die Jahrhundertmitte die Familie Rülf. Isaak Rülf arbeitete als Rabbiner während der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Russland gegen den dort herrschenden Antisemitismus. Sein Sohn Gutmann war als Landesrabbiner in Braunschweig tätig.10

Schon vor 1938 war die Synagogengemeinde offiziell für aufgelöst erklärt worden. Neben den politischen Umständen trug vermutlich die geringe Mitgliederzahl zu diesem Schritt bei.

Am 7. September 1942 wurden alle 16 noch im Ort lebenden Juden verhaftet und in Ghettos bzw. anschließend in Vernichtungslager deportiert - Überlebende sind nicht bekannt.11

Betsaal / Synagoge

Die erste dokumentierte Synagoge bestand aus einem eingeschossigen Haus, Nummer 45. Das Gebäude war bis zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in Besitz eines christlichen Rauischholzhauseners, der es als Wohnhaus nutzte. Zu welcher Zeit die Umnutzung zu gottesdienstlichen Zwecken vorgenommen wurde, ist nicht bekannt. Vermutlich diente das Haus seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert als Gotteshaus.12 Gegen Ende des Jahrhunderts wird seine Größe mit 11,5 x 6,3 Metern angegeben.13 Zum Grundstück des Gotteshauses, das gleichzeitig vermutlich als Raum für Gemeindeversammlungen und Religionsunterricht genutzt wurde, gehörten ein kleiner Stall und eine Scheune.14 Die Synagoge stand in der Straße „Mittelsdorf“.15

Von 1849 bis ca. 1852 plante die Synagogengemeinde eine neue Synagoge. Das Gotteshaus sollte aus einer zuvor von Juda Plaut für 260 Thaler erworbenen Scheune umgebaut werden. Langwierige Verhandlungen, geänderte Planungsauflagen v. a. mit dem zuständigen Landbaumeister Augener schlossen sich an. Das Projekt war mit rund 1.700 Talern veranschlagt, der Grundriss maß 48,5 x 28 Fuß (ca. 12 x 7 Meter). Das Gebäude sollte von drei Seiten her freistehend einsehbar sein, zusätzlich war ein separates Mikwengebäude auf der Rückseite geplant. Sowohl die Provinzialregierung in Marburg erteilte 1851 die notwendige Baugenehmigung, als auch 1858 die Bürgermeisterei Rauischholzhausens sowie das zuständige israelitische Vorsteheramt Marburg. Gewerke-Ausschreibungen für die Errichtung des Gebäudes wurden 1851 veröffentlicht. Vermutlich wurde der Bauplan, wenn überhaupt, nicht 1:1 umgesetzt. Gründe dafür lagen in der mangelnden Bereitschaft der Wittelsberger Juden das Synagogenprojekt finanziell mitzutragen, sichtbar schwindender Mitgliederzahlen in der Gemeinde und materiellen Problemen.16 Vermutlich beschied sich die jüdische Gemeinde mit dem Erwerb eines Hauses für einen Schulraum und einer Wohnung für den Lehrer.

Im Brandkataster von 1874 wird den Planungen entgegen ein eingeschossiges Synagogengebäude, Haus Nr. 22, mit einer Grundfläche von 12 x 6,60 Metern mit Empore ausgewiesen.17

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde das Gebäude während der Pogromnacht 1938 innen und außen zerstört. Dies geschah zu einer Zeit, als die Synagogengemeinde bereits offiziell nicht mehr bestand. Vermutlich vor 1938 erwarb ein Nichtjude das kleine Gebäude für 1.500 Reichsmark. Nach 1938 wurde es abgerissen und 1941 aus dem Kataster gelöscht.18

Weitere Einrichtungen

Mikwe

Um 1849 war mit der Neubauplanung zur Synagoge auch der Bau einer Mikwe geplant. Die Planung wurde vermutlich so nicht umgesetzt. Möglicherweise gab es jedoch eine alternative Mikwe im Ort. Über ihre Lage ist nichts bekannt.

Schule

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts bildete die Synagogengemeinde Rauischholzhausen mit der Mardorfer einen Schulverband. Unterrichtsort für die Kinder beider Gemeinden mit ihren angeschlossenen Filialen war Rauischholzhausen. Von um 1840 bis zu seinem Tod im Jahr 1870 lehrte der Lehrer Hirsch Hahn in Rauischholzhausen. Vermutlich fand der Unterricht im Haus Nr. 62 statt, dessen Eigentümer nach 1874 die Familie Bachenheimer wurde. Bis 1918, der offiziellen Einstellung des Religionsunterrichts in Rauischholzhausen, wurden die jüdischen Kinder im Ort von einem durch die jüdische Gemeinde bezahlten Lehrer unterrichtet. Danach erhielten die Kinder privat finanzierten Unterricht.19

Cemetery

Bereits vor Ende des 18. Jahrhunderts bestand ein jüdischer Friedhof in Rauischholzhausen. Hier begruben auch die Juden aus Ebsdorf, Leidenhofen, Mardorf, Rossdorf und Wittelsberg ihre verstorbenen Angehörigen.20 Der Friedhof ist etwa 2.500 Quadratmeter groß und liegt am Schossparkgelände, Flur 7, Flurstücknummer 7, ca. 200 Meter westlich des Schlosses, ca. 500 Meter südwestlich des alten Ortskerns.

Rauischholzhausen, Jüdischer Friedhof: Datensatz anzeigen

References

Weblinks

Sources

Bibliography

Illustrations

Indices

Persons

Rau von Holzhausen, Familie · Stumm, F. E. · Stumm, Freiherren von · Meshullam · Bachenheimer, Familie · Schaumburg, Hirsch · Bachenheimer, Jacob · Bier, Isaak · Rülf, Juda · Stern, Davis · Rülf, Familie · Rülf, Isaak · Rülf, Gutmann · Plaut, Juda · Augener, Landbaumeister · Hahn, Hirsch

Places

Bad Nauheim · Gießen · Goßfelden · Lahntal · Mardorf · Ebsdorf · Leidenhofen · Wittelsberg

Sachbegriffe Geschichte

Mainz, Erzbistum · William-Kerkhoff-Stiftung, Bad Nauheim · Emanzipation · Antisemitismus

Fußnoten
  1. Schneider, S. 336
  2. Schneider, S. 337
  3. Schneider, S. 337
  4. Arnsberg, Jüdische Gemeinden 2, S. 363
  5. Schneider, S. 340
  6. HStAM 180 Marburg, 836
  7. Schneider, S. 355
  8. Schneider, S. 340, 353; Ortsartikel Rauischholzhausen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  9. Schneider, S. 337
  10. Ortsartikel Rauischholzhausen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  11. Gedenkbuch des Bundesarchivs (s. Weblink); Gedenkstätte Yad Vashem (s. Weblink); Ortsartikel Rauischholzhausen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  12. Schneider, S. 340
  13. Schneider, S. 340 f., 353
  14. Schneider, S. 340
  15. Ortsartikel Rauischholzhausen auf Alemannia Judaica (s. Weblink)
  16. HStAM 19, 2549
  17. Schneider, S. 340 f., 355. Die ähnlichen Grundrissmaße legen die Vermutung nahe, dass die ehemalige Scheune des J. Plaut in reduzierter Weise für die Synagogengemeinde umgebaut wurde.
  18. Schneider, S. 341
  19. Schneider, S. 340, 353
  20. Schneider, S. 340
Recommended Citation
„Rauischholzhausen (Landkreis Marburg-Biedenkopf)“, in: Synagogen in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/en/purl/resolve/subject/syn/id/164> (Stand: 5.9.2022)