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Formelles Koalitionsangebot der hessischen SPD an die Grünen, 29. Mai 1985

Der hessische Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzende Holger Börner (1931–2006) macht den Grünen in Hessen ein formelles Koalitionsangebot.

Börner stellt dabei den Grünen die Beteiligung an seiner Landesregierung und die Übernahme des Umweltressorts in Aussicht. Der stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und hessische Staatsminister der Finanzen Hans Krollmann (1929–2016) äußert zu dem Angebot in einer Stellungnahme am Abend des Tages in Alsfeld, dass die SPD die Zustimmung der Grünen zum Landeshaushalt 1985 sowie zu einem Doppelhaushalt für die Jahre 1986/87 als Voraussetzung für eine rot-grüne Koalition sehe. Das formelle Koalitionsangebot ist Bestandteil einer Übereinkunft, die Verhandlungsdelegationen von SPD und Grünen am gestrigen Dienstag, den 28. Mai, unterzeichnet haben. Krollmann führt weiter dazu aus, die SPD denke an ein Ministerium, das aus Teilen des Umwelt- und des Wirtschaftsministeriums gebildet werden soll. Eine Entscheidung der Grünen wird auf der Mitgliederversammlung der Partei am 8. und 9. Juni in Niedernhausen erwartet. Sollte dort eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit, die im Dezember vergangenen Jahres von den Grünen aufgekündigt worden war, keine Zustimmung finden, will die SPD die Option vorgezogener Neuwahlen prüfen. Voraussetzung für das Koalitionsangebot ist nicht zuletzt das gute Abschneiden der SPD und der Grünen bei den Kommunalwahlen am 10. März 1985, bei der die SPD mit 43,7 % der Stimmen, ebenso wie die Grünen, deutlich zulegen konnte, und das Börner als Bestätigung der von ihm verfolgten politischen Linie betrachtet.1 Im Dezember 1985 einigen sich SPD und Grüne schließlich auf die Bildung der ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene.

Erneutes rot-grünes Zusammengehen nach einem vorläufigen Bruch im Dezember 1984

Der hessische Landesvorstand der Grünen hatte bereits im vorangegangenen Jahr eine Mehrheit der Partei für eine Tolerierung einer SPD-Minderheitsregierung gewinnen können. Im Juni 1984 war Holger Börner mit den Stimmen der Landtagsabgeordneten der Grünen zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Im darauffolgenden Dezember hatten die Grünen im Streit um die hessische Atompolitik die Unterstützung für Börner und die von ihm geführte Minderheitsregierung zunächst für beendet erklärt.2

Vereinbarung einer gemeinsamen Initiative zur Änderung des Bundesatomgesetzes

Um die strittige Frage der Betriebserlaubnis der Hanauer Nuklearfabriken zwischen den beiden Parteien zu klären, sollen auf der Basis von Empfehlungen, die eine rot-grüne Kommission (im Jargon als „Doppelvierer“ bezeichnet) ausgearbeitet und vorgestellt hat, Lösungen gefunden werden. Entsprechend den Empfehlungen der Kommission soll insbesondere „der Verhinderung der von der Bundesregierung geplanten Plutonium-Wirtschaft besondere Bedeutung“ zukommen. In den am heutigen Tag vorgelegten Vereinbarungen wird vereinbart, dass beide Parteien über eine Bundesratsinitiative und zugleich über die jeweils eigenen Bundestagsfraktionen Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Bundesatomgesetzes einleiten werden. Auf diesem Weg will das Land Hessen erheblichen Einfluss auf die Verschärfung der damit zusammenhängenden Rechtsvorschriften nehmen und durch eine Normenkontrollklage eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht veranlassen, ob das Atomgesetz der Bundesregierung in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Grundgesetzes steht. Dabei wird in den neuen rot-grünen Vereinbarungen argumentiert, „daß die Regelungen des Atomgesetzes wegen gestiegener Risiken und wegen neuer Erkenntnisse zu den Auswirkungen einer Ausweitung der Plutoniumverarbeitung und einer Verarbeitung von waffengrädigem Uran nicht mehr den verfassungsrechtlichen Erfordernissen entsprechen“.3
(KU)


  1. Vgl. Friedrich Ebert Stiftung: AdsD – Archiv der sozialen Demokratie: Das historische Stichwort: 16.10.1985: Erste Rot-Grüne Koalition in Hessen, URL: https://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/stichwort/rot-gruen.htm (eingesehen am 29.5.2016).
  2. Die Landtagsfraktion der Grünen hatte die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten bereits am 20. November 1984 als „Konfliktbündnis“ bezeichnet und für vorläufig beendet erklärt, nachdem es bei wiederholten Verhandlungen mit der SPD über die beiden Hanauer Nuklearbetriebe Nukem und Alkem zu keiner Annäherung der Standpunkte gekommen war. Die Grünen hatten daraufhin am 2. Dezember 1984 auf einer Landesmitgliederversammlung in Lich die von ihrer Landtagsfraktion einige Tage zuvor eingeleitete Aufkündigung des rot-grünen Bündnisses mit der SPD schließlich bestätigt.
  3. Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.5.1985, S. 1.
Belege
Hebis-Schlagwort
Hessen ; Sozialdemokratische Partei Deutschlands ; Hessen ; SPD ; Geschichte 1945-1988 ;
Empfohlene Zitierweise
„Formelles Koalitionsangebot der hessischen SPD an die Grünen, 29. Mai 1985“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/2773> (Stand: 29.5.2022)
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