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Start der ersten Maschine von der umstrittenen Startbahn 18 West, April 1984

Literatur

Startbahn West Flughafen Frankfurt Buchsymbol · Startbahngegner Buchsymbol · Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung Frankfurt Rhein-Main Buchsymbol

Startbahn West

  1. Überblick
  2. Zentraler Umweltnutzungskonflikt der frühen 80er-Jahre
  3. Hintergrund des Flughafenausbaus seit den 1950er-Jahren
  4. Chronologischer Überblick der Konflikte um die Flughafenerweiterung von den 1960er-Jahren bis zum 2. November 1987

1. Überblick

Die Startbahn 18 West ist ein zwischen 1962 und 1984 (Inbetriebnahme) geplanter und gebauter, ausschließlich für Flugzeugstarts genutzter Runway des Flughafens Frankfurt Rhein-Main, dessen Verwirklichung zu Beginn der 1980er Jahre zu einem Kulminationspunkt von Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und einer teils bürgerlich-regionalistischen, teils linksradikal-libertär geprägten Widerstandsbewegung wurde. Die Betreibergesellschaft Flughafen-Gesellschaft Frankfurt Main AG (FAG) stellte nach einer gut dreijährigen Planungsphase am 28. Dezember 1965 beim Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr den Antrag, die Leistungsfähigkeit des bestehenden Start- und Landebahnsystems des Flughafens durch die Verlängerung der beiden bereits vorhandenen Bahnen nach Westen, und durch den Neubau einer zusätzlichen reinen Startpiste am westlichen Ende der älteren Runways deutlich zu erhöhen. Mit dem beantragten Modell war eine Kompromisslösung gewählt worden, die mit der Erweiterung nach Westen in bestmöglicher Weise eine zusätzliche Beeinträchtigung der anliegenden Wohnbevölkerung vermeiden sollte, schließlich aber einen erheblichen Eingriff in ein intaktes Waldgebiet (ein erheblicher Teil davon sogen. Bannwald) bedeutete. Das Teilprojekt des Pistenneubaus erhielt die technische Bezeichnung Startbahn 18 West.

2. Zentraler Umweltnutzungskonflikt der frühen 80er-Jahre

Seine Verwirklichung wurde zu einem zentralen Umweltnutzungskonflikt der späten 70er und frühen 80er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. In der Folge mehrerer Planfeststellungsverfahren und -beschlüsse stieg die Zahl der von betroffenen Bürgern aus der Umgebung des Flughafens an die hessischen Verwaltungsgerichte eingereichten Klagen kontinuierlich an und verzögerte den Baubeginn der Startbahn 18 West um fast zehn Jahre. Vom Beginn der Rodungsarbeiten auf dem Baugelände im Herbst 1980, über die Zuspitzung des Konflikts mit der polizeilichen Räumung eines von den Startbahngegnern errichteten Hüttendorfes, Blockaden und Demonstrationen, an denen sich im Herbst 1981 bis zu 120.000 Menschen beteiligen, bis hin zur endgültigen Ablehnung eines Volksbegehrens mit mehr als 220.000 Unterschriften durch die Landtagsregierung und den hessischen Staatsgerichtshof Ende 1981 bzw. Anfang 1982 entsteht – trotz einer großen Zahl von mehr oder weniger folgenreichen gewaltsamen Zusammenstössen zwischen Startbahngegnern und der Polizei - im Umfeld der Bürgerinitiative Mörfelden-Walldorf und bundesweit mobilisierter Unterstützer der Proteste eine beispielhafte Kultur „gelebten Alltagswiderstands“, der seinem Anspruch nach überwiegend gewaltfrei agiert. Der Widerstand gegen die Startbahn West findet (in geschmälertem Umfang) auch nach dem Scheitern des Volksbegehrens von 1981 und nach der Inbetriebnahme der Piste im April 1984 eine Fortsetzung – endet aber abrupt mit der Erschießung von zwei Polizeibeamten bei einer erneuten Demonstration im November 1987.

3. Hintergrund des Flughafenausbaus seit den 1950er-Jahren

Den Hintergrund zur Forderung nach konsequentem Ausbau der vorhandenen Kapazitäten des Frankfurter Flughafens bildete eine ganze Reihe von Punkten, die für die Zukunft einen starken Zuwachs des den Rhein-Main Airport berührenden Luftverkehrsaufkommens und weitreichende Veränderungen in den Betriebsabläufe des Flughafens erwarten ließen. Zum einen hatte sich die 1953 zunächst unter dem Firmennamen LUFTAG (Aktiengesellschaft für Luftverkehrsbedarf) wiedergegründete Lufthansa für Frankfurt am Main und gegen den geplanten Großflughafen Köln-Bonn als Basis ihrer internationalen Flüge und Hauptstandort für das fliegende Personal und die Flugzeugwartung entschieden. Damit in Verbindung stand ein offizieller Auftrag des Bundes, Frankfurt Rhein-Main als ersten deutschen Airport an die Anforderungen des interkontinentalen Linienverkehrs mit Düsenflugzeugen anzupassen. Zum anderen bot der Flughafen in seiner Mitte der 1960er Jahre bestehenden Ausbaustufe keine optimalen Voraussetzungen für den Betrieb moderner Düsenverkehrsflugzeuge, deren Entwicklung in Kürze immer größere und Leistungsstärkere Maschinen erwarten ließ. Die beiden in den 1940er Jahren erneuerten bzw. neu gebauten parallelen Start- und Landebahnen („Nordbahn“ und „Südbahn“) waren ausschließlich für den Verkehr mit Propellerverkehrsmaschinen konzipiert worden. Sie lagen zu eng nebeneinander um gleichzeitige Starts und Landungen der modernen Großraumjets durchzuführen. Ein weiteres Problem bestand in weitreichenden Wirbelschleppen, die von den Düsenmaschinen erzeugt wurden, und die größeren räumliche und zeitliche Abstände bei Starts und Landungen der einzelnen Flugzeuge erzwangen. Damit erschien eine erhebliche Einschränkung der Nutzungskapazität der vorhandenen Betriebsanlagen vorprogrammiert.

4. Chronologischer Überblick der Konflikte um die Flughafenerweiterung von den 1960er-Jahren bis zum 2. November 1987

4.1. Der Beginn der Auseinandersetzungen um den Flughafenausbau 1964/65 und die Gründung einer Bürgerinitiative

In der Kleinstadt Mörfelden im Kreis Groß-Gerau gründeten Bürger aus den Gemeinden Kelsterbach, Walldorf, Mörfelden, Egelsbach und Groß-Gerau am 27. April 1965 eine „Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms e. V.“ (IGF), die sich als private Initiative gegen den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens und Interessenvertretung der in der Umgebung des Flughafens lebenden Menschen verstand.

Mitglieder der IGF initiierten 1967 die Gründung einer „Bundesvereinigung gegen Fluglärm“, die im Herbst 1967 als Zusammenschluss von sechs lokalen Initiativen entstand und ihrerseits 1970 zum Kern der „Rhein-Main-Aktion gegen Umweltzerstörung“ wurde.1

4.2. Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden

Auslöser für die Entstehung der Bürgerinitiative waren Pläne der Flughafen Frankfurt/Main AG, die eine erhebliche Erweiterung des Rhein-Main-Flughafens in Aussicht stellten und im September 1961 zur Abstimmung der Bauleitplanung den von einem möglichen Ausbau betroffenen Gemeinden erstmals vorlegt wurden.2 Um eine Erweiterung des mitten im Ballungsgebiet „Engeres Untermaingebiet“ liegenden Großflughafens Rhein-Main sicherzustellen, hatte die Direktion der Flughafengesellschaft „Flughafen Frankfurt/Main AG“ (FAG; bis 1954: Verkehrsaktiengesellschaft Rhein-Main, kurz: VAG) 1961 von den bei einem zukünftigen Ausbau betroffenen Gemeinden verlangt, das für die Erweiterung notwendige Gelände in den kommunalen Flächennutzungsplänen auszuweisen. Alle 32 betroffenen Gemeinden lehnten diesen Antrag der FAG ab.3 Der Umstand, dass die eigenen Bauleitpläne der Gemeinden demgegenüber aber „auf Eis“ gelegt wurden und die von Bund, Land und der Stadt Frankfurt am Main getragene Flughafen Frankfurt/ Main AG ganz offensichtlich versuchte, Städteerweiterungen in der Umgebung des Flughafens zu verhindern4, sorgte daraufhin erwartungsgemäß für heftige Diskussionen in den Gemeindevertretungen und Stadtparlamenten. Die zeitgleich von den Medien verbreiteten Informationen zu der Absicht, den Flughafen in den kommenden Jahren ganz erheblich auszubauen und zu erweitern, lösten eine Welle des Protests aus.

4.3. Zentrale Figur bei der Vernetzung der Bürgerinitiativen: der evangelische Pfarrer Kurt Oeser

Eine zentrale Rolle in der Mobilisierung des Widerstands gegen den Flughafenausbau spielte der seit 1958 in Mörfelden als Gemeindepfarrer tätige evangelische Geistliche Kurt Oeser (1928–2007). Er schrieb im November 1964 den ersten von mehreren offenen Briefen an die Landesregierung und erhielt im Dezember 1964 eine Antwort des hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn. Zinn gab zu verstehen, dass die erwarteten negativen Auswirkungen des Flughafen-Ausbaus zu bedauern seien, doch könne er sich aus seiner Verpflichtung „dem größeren Ganzen“ gegenüber dem Ausbau des Rhein-Main-Flughafens nicht „entgegenstemmen“. Vielmehr sei zu beachten, dass „nahezu alle Bevölkerungskreise ein vitales Interesse an schnellen und weitreichenden Verbindungen des Luftverkehrs“ hätten und somit die Erweiterung des Flughafens als „wirklich notwendig“ akzeptiert werden müsse.5

Nach dem Bekanntwerden der von Oeser versandten Briefe und den Antwortschreiben wandten sich ab Ende Januar 1965 schließlich auch Bürger aus Mörfelden und Walldorf in offenen Briefen an die hessische Landesregierung ihren Unmut über die beabsichtigte Flughafenerweiterung ausgesprochen. Unmittelbar in Zusammenhang mit den Kontroversen um die Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts der in der Nähe des Flughafens gelegenen Gemeinden und den Protestschreiben der Bürger erfolgte im April die Gründung der IGF. In einem weiteren Briefwechsel hatten Bundestagsabgeordnete Oeser empfohlen, die gegen den Ausbau gerichteten Aktivitäten in Mörfelden und den südlich an den Rhein-Main-Flughafen angrenzenden Gemeinden in einer Interessengemeinschaft zu bündeln. Die dabei entstandene Vereinigung stellte eine der ersten Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik dar. Kurt Oeser bekleidete aufgrund seines außerordentlichen Engagements fortan eine Rolle als Führungs- und Vermittlungsfigur in den Auseinandersetzungen um den Flughafenausbau, aber auch in anderen Umweltnutzungskonflikten. Als „Umweltpfarrer“ oder „Startbahnpfarrer“ erlangte er überregionale Bekanntheit. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ernannte den Geistlichen von 1973 bis 1992 zu ihrem Umweltbeauftragten. Oeser amtierte ab 1967 als Gründungspräsident der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) und später als Vorsitzender der Rhein-Main-Aktion gegen Umweltzerstörung. Als Mitbegründer des Umweltzeichens Blauer Engel war er jahrzehntelang in dessen Jury aktiv.

4.4. Das schwierige Planfeststellungsverfahren

Aufgrund des erheblichen kommunalen und sehr bald auch überregionalen Widerstands gegen die Flughafenerweiterung gestaltete sich das zum Ausbau der Start- und Landeflächen erforderliche Planfeststellungsverfahren außerordentlich schwierig und langwierig.

Ziel des Planfeststellungsverfahrens ist es, die von einem großen, räumlich bedeutenden Bauvorhaben berührten öffentlich-rechtlichen Beziehungen in einem einzigen Verwaltungsverfahren zu bündeln, und unter umfassender Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger die Zulässigkeit des Bauvorhabens zu überprüfen. Rechtzeitig erhobene Einwendungen der Bürger werden zusammen mit den Stellungnahmen der für das Verfahren zuständigen Behörden in einem mündlichen Termin gemeinsam erörtert.

Am 28. Dezember 1965 beantragte die Flughafen Frankfurt AG beim Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr die Genehmigung für die projektierte Erweiterung des Flughafengeländes. Dabei umfasste der geplante Ausbau zwei Teilvorhaben: 1. Die Verschiebung und Verlängerung der bereits existierenden Start- und Landeflächen (Parallelbahnen) in westlicher Richtung, und 2. den Bau einer 4000 m langen neuen Startbahn in Nord-Süd-Richtung, der Startbahn 18 West. Die entsprechende ministerielle Genehmigung erging am 23. August 1966. Im Februar 1967 leitete das Regierungspräsidium Darmstadt das Planfeststellungsverfahren ein, gegen das in den darauffolgenden Jahren nicht weniger als 3.849 Einsprüche erhoben wurden.

Am 26. März 1968 billigte der Hessische Minister für Wirtschaft und Verkehr den Planfeststellungsbeschluss mit einigen wenigen zusätzlichen Auflagen, nachdem im Herbst 1967 bei insgesamt vier Erörterungsterminen zahlreiche Bedenken vorgebracht wurden, die sich insbesondere gegen die Auswirkungen des Fluglärms auf die Anrainer-Gemeinden und eine Schädigung des Waldes richteten.

Als Folge der Anfechtungsklagen6 hob jedoch im November 1968 das Verwaltungsgericht Darmstadt den Planfeststellungsbeschluss aus formalen Gründen auf. Es war versäumt worden, die Stadt Offenbach an den Anhörungen zum Planfeststellungsverfahren zu beteiligen. Das Gericht vertrat überdies die Ansicht, dass die Zuständigkeitsanordnung des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr nicht ordnungsgemäß veröffentlicht worden sei. Gut zwei Jahre später, im Dezember 1970 wurde ein Revisionsantrag gegen den Beschluss der Darmstädter Richter abgelehnt. Um den Ausbau der Start-und Landeflächen des Flughafens fortzusetzen, war es nun unumgänglich, ein weiteres Planfeststellungsverfahren in Gang zu setzen. Gegen dieses neue, 2. Planfeststellungsverfahren erhoben die Ausbaugegner in den folgenden Jahren insgesamt 8.900 Einsprüche. In fünf weiteren Erörterungsterminen kamen die Vertreter von 4 Landkreisen, 35 Kommunen und den am Verfahren beteiligten Fachbehörden zusammen. Am 23. März 1971 erging ein neuer, mit der vorhergehenden 1. Entscheidung vom 26.03.1968 völlig identischer Planfeststellungsbeschluss durch den Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr.7 Diesem Beschluss folgten zunächst gerichtliche Auseinandersetzungen, die die sofortige Umsetzung der von der Flughafen AG beabsichtigten Bahnverlängerungen, die prinzipielle Zulässigkeit der Planfeststellung und besonders den beabsichtigten Bau der neuen Startbahn 18 West zum Gegenstand hatten.

4.5. Planfeststellung und Verwirklichung der Verschiebung und Verlängerung der Parallelstartbahnen von 1971 bis 1979

Betrachtet man zunächst allein den Fortgang der Genehmigung des Ausbaus der bereits vorhandenen Parallelbahn des Flughafens, so zog sich das Verfahren durch die prinzipiellen Einwände gegenüber einem Ausbau und den zu erwartenden Belastungen durch ein vergrößertes Luftverkehrsaufkommen fast über die gesamten 1970er-Jahre hinweg in die Länge. Nach dem ministeriellen Erlass des 2. Planfeststellungsverfahrens 1971 hob das Verwaltungsgericht Darmstadt am 7. Juli 1971 die sofortige Vollziehbarkeit des Beschlusses wieder auf. Beschwerden und Klagen der Flughafen AG und des Landes Hessen gegen diese Entscheidung wurden 1971 und 1975 vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Erst eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die am 7. Juli 1978 auf den Tag genau 8 Jahre nach dem Urteil der Darmstädter Richter erfolgte, stellte den Sofortvollzug der Landebahnverschiebung und -erweiterung wieder her. Die sieben Klägerparteien der Ausbaugegner reagierten auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im September 1978 mit einer Verfassungsbeschwerde, die allerdings zehn Monate später vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig bzw. nicht hinreichend erfolgversprechend abgelehnt wurde.

Im März 1979 begannen schließlich die Bauarbeiten an der bestehenden Parallelbahn, das gesamte Teilverfahren für die Veränderung der beiden existierenden Bahnen wurde mit der Inbetriebnahme der zweiten verlängerten Parallelbahn im Juni 1982 abgeschlossen.

4.6. Fortgang und Ende im Planfeststellungsverfahren für den Bau der neuen Startbahn 18 West bis Oktober 1980

Der 1971 erlassene Planfeststellungsbeschluss zum Bau der Startbahn 18 West wurde 1972 vom Verwaltungsgericht Darmstadt aufgehoben. Im darauffolgenden Jahr erklärte der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Beschluss wegen nicht ordnungsgemäßer Veröffentlichung der Zuständigkeit des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr für nichtig. Im März 1974 widersprachen die Richter am Bundesverwaltungsgerichtshof dem Urteil ihrer hessischen Kollegen und überwiesen den Rechtsstreit um die Verwirklichung der Startbahn 18 West zurück an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Dieser fällte im Verlauf des Jahres 1976 drei Entscheidungen, mit denen die Verlängerung und Verschiebung der bereits bestehenden Parallelbahnen prinzipiell gebilligt, aber an besondere Auflagen gebunden wurde (u. a. mit einer Einschränkung des Nachtflugbetriebs); den Neubau der West-Startbahn aber untersagten die Richter. Die Flughafen-Betreibergesellschaft und das Land Hessen wandten sich daraufhin erneut an das Bundesverwaltungsgericht, dass eine Revision dieses Urteils zunächst für zulässig erklärte. Im Dezember 1978 verkaufte das Land Hessen 303 Hektar Land an die Flughafen AG. Der zu erwartende Holzeinschlag lag bei insgesamt 499 Hektar (von denen bereits im Herbst 1980 129 Hektar gerodet wurden).8

Nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel die Sachlage zum Planfeststellungsverfahren der Startbahn 18 West 1979 nochmalig sorgfältig geprüft hatte, erging Mitte August des Jahres der Beweisbeschluss, ob die dem Genehmigungsverfahren für den Flughafenausbau zu Grunde liegenden Kapazitätsprognosen der Planungsentscheidung von 1971 fehlerfrei erstellt wurden. Im Sommer 1980 ordnete der Minister für Wirtschaft und Technik, Heinz-Herbert Karry (1920–1981; FDP), den sofortigen Vollzug des Startbahnbaus an. Die Versuche der Ausbaugegner, den Bau der Startbahn noch im letzten Moment zu verhindern scheitern. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies am 10. Oktober 1980 alle Widersprüche zurück. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Planfeststellungsverfahren endeten schließlich am 21. Oktober 1980 mit einer Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs dass der Bau der Startbahn West rechtlich nicht anfechtbar sei.

4.7. Eskalation der Auseinandersetzungen auf dem Baugelände ab Spätherbst 1980

Nur eine Woche später begannen auf dem Baugelände die Rodungsarbeiten. Zugleich eskalierte der Widerstand der Bevölkerung, vor allem in Mörfelden-Walldorf, in einem bis dahin nicht erwarteten Ausmaß. Am 2. November 1980 demonstrierten am Waldrand in Mörfelden-Walldorf 15.000 Menschen gegen das Abholzen eines rund sieben Hektar großen Areals direkt am Flughafen. Unter ihnen befanden sich Umweltschützer, Studenten und viele Einwohner aus den vom Ausbau und seinen Folgen betroffenen Gemeinden in der Region.

Eine im Mai 1980 errichtete Hütte der Bürgerinitiativen („BI-Hütte“), die zur Information von Spaziergängern diente, wurde von den Startbahngegnern zu einem dauerbewohnten Hüttendorf ausgebaut, um möglichst unmittelbar mit Protesten auf den Fortgang der Rodungsarbeiten auf dem Baugelände reagieren zu können. Die baurechtlich illegalen Hütten auf dem Flughafengelände, zu denen auch eine Hüttenkirche der Walldorfer Kirchengemeinde zählte, wurden am 6. Oktober 1981 mit außergewöhnlich großem Polizeiaufgebot geräumt. Es folgten schwere Krawalle am Baugelände und im Anschluss an eine Kundgebung der Startbahngegner in Mörfelden-Walldorf. Ende 1981 und im Verlauf des Jahres 1982 kam es zur Räumung weiterer Hüttendörfer. Die Proteste gegen den Bau der Startbahn 18 West verlagerten sich im Herbst 1981 zunehmend in die Frankfurter Innenstadt und auf den Rhein-Main-Flughafen. Im Anschluss an die Räumung des ersten Hüttendorfes kam es zu Demonstrationen in der Frankfurter City, bei denen Starztbahngegener auch den Hauptbahnhof blockierten.

4.8. Antrag auf ein Volksbegehren im November 1981

Am 14. November 1981 protestierten schätzungsweise 120.000 bis 150.000 Menschen in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden friedlich gegen den Bau der Startbahn West und gegen die Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik der hessischen Landesregierung. Anlass für die bis dahin größte Demonstration in der Geschichte Wiesbadens ist die Übergabe eines Antrags auf ein Volksbegehren an den Landeswahlleiter. Der Antrag wurde von insgesamt 220.765 Startbahngegnern mit ihrer Unterschrift unterstützt. Mit Blick auf das von den Startbahngegnern angestrebte Volksbegehren wand sich die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) an den amtierenden Ministerpräsident Holger Börner (1931–2006; SPD) und bat um ein Moratorium der Rodungsarbeiten. Börner bemängelte diese einseitige Parteinahme für die Startbahngegner.

Als folgenreich erwies sich die am 14. November 1981 geäußerte Forderung des Frankfurter Magistratsdirektors Alexander Schubart, am folgenden Tag den Frankfurter Flughafen „dicht“ zu machen, falls die Landesregierung nicht bis 12:30 Uhr einen Vorschlag zur Herstellung des von der EKHN erbetenen Moratoriums vorlegen würde. Die auf den Aufruf folgenden Protestaktionen brachten am 15. November 1981 den Straßenverkehr am Frankfurter Flughafen völlig zum Erliegen und wurden von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet.

Einen Monat später, am 14. Dezember regte schließlich auch der Präsident des Staatsgerichtshofs, der auf Antrag der „Arbeitsgemeinschaft Volksbegehren und Volksentscheid - Keine Startbahn West - “ über die Zulässigkeit des zuvor von der Landesregierung abgelehnten Volksentscheids zu befinden hatte, einen Rodungs- und Baustopp an. Daraufhin trat das Moratorium über die Weihnachtstage in Kraft.

Am 15. Januar 1982 mussten die Startbahngegner jedoch eine schwere Niederlage hinnehmen. Der Hessische Staatsgerichtshof in Wiesbaden verwarf den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens gegen den Bau der Startbahn West am Flughafen Frankfurt und bestätigte damit den im November 1981 von der hessischen Landesregierung gefassten Beschluss, diesem Antrag nicht stattzugeben.

4.9. Inbetriebnahme der Startbahn 18 West im April 1984

Die Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens wurde am 12. April 1984 dem Verkehr übergeben. Auf Eröffnungsfeierlichkeiten wurde verzichtet. Ein Airbus der Lufthansa mit Ziel Paris hob als erstes Passagierflugzeug von Startbahn ab. Die Flughafen-Betreibergesellschaft gab an, dass am ersten Tag insgesamt 108 Maschinen die Startbahn West benutzten. Gegen ihre Inbetriebnahme demonstrierten am 14. April 1984 nochmals rund 15.000 Menschen, die sich an der Betonschutzmauer im Wald.

4.10. Fortsetzung der Proteste bis zum 2. November 1987

Die seit den Ereignissen im Herbst des Vorjahres und aufgrund des staatsrechtlich bindenden Urteils geschrumpfte Zahl der aktiven Startbahngegner verlagerte 1982 ihre Proteste in erster Linie auf Demonstrationen in Form sogen. „Sonntagsspaziergänge“, die wöchentlich an der das Baugeländer der Startbahn West umschließenden Betonschutzmauer durchgeführt wurden, und aus denen heraus eine eigene „Widerstandskultur“ entstand. An diesen „Spaziergängen“ beteiligte sich ein breites Spektrum von Ausbaugegnern, die zuvor stark vertretenen Massenorganisationen (Gewerkschaften, Kirchen, Parteijugendverbände, Umweltschutzorganisationen) waren jedoch nicht darunter. Dabei traten an die Stelle der mehr oder minder abebbenden Beteiligung des bürgerlichen Spektrums zunehmend militante autonome Gruppen, deren Aktionismus die Proteste an den Absperrungen des Baugeländes zu dominieren begann. Die etwa 100 „Spaziergänge“ und die sie begleitenden spontanen Aktionen gegen Betonmauer und Absperrgräben fanden bei einer Demonstration am Abend des 2. November 1987 schließlich ein jähes Ende. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden Schüsse aus einer Pistole abgegeben und neun Polizeibeamte getroffen. Zwei von ihnen erlagen noch am selben Tag ihren Verletzungen. Als Folge der Tötung der Beamten brach die Protestbewegung abrupt zusammen. Es gab keine weiteren organisierten Protestaktionen an der Startbahn West.

Kai Umbach


  1. Die „Rhein-Main-Aktion gegen Umweltzerstörung“ wiederum war 1972 Kristallisationspunkt einer bundesweiten Vernetzung, als sich dem von ihr vorgeschlagenen „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz c. V.“ 25 in der Bundesrepublik tätige Aktionsgemeinschaften anschlossen.
  2. Zit. n. Rucht, Dieter (Hg.): Flughafenprojekte als Politikum: die Konflikte in Stuttgart, München und Frankfurt, Frankfurt/Main [u. a.] 1984, S. 259.
  3. So weigerte sich z. B. die Stadtverordnetenversammlung in Kelsterbach die projektierte Erweiterung des Rhein-Main-Flughafens im Flächennutzungsplan der Stadt zu berücksichtigen. Der damals amtierende Bürgermeister Friedrich Treutel erklärte, die Stadt halte den Einschlag von 480 Hektar Wald zur Verwirklichung der projektierten Flughafenerweiterung für unverantwortlich. Zudem verwies die Stadtverordnetenversammlung auf die in ihren Augen illegalen Baumaßnahmen der Flughafen Frankfurt/Main AG die diese in der Vergangenheit mit Zustimmung der Aufsichtsbehörden in Wiesbaden aber ohne Genehmigung der Stadt Kelsterbach durchgeführt habe. Die nun von der FAG an die Stadt herangetragene Forderung, diese Baumaßnahmen nachträglich iin ihrem kommunalen Flächennutzungsplan zu berücksichtigen und zu sanktionieren, „sei eine Ungehörigkeit“. Der Einspruch der FAG in den Flächennutzungsplan wurde von den Stadtverordneten einstimmig zurückgewiesen. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 29.03.1966, S. 25.
  4. Vgl. dazu Lang, Erwin: Auswirkungen der Ziele der Raumordnung und Landesplanung auf die örtliche Bauleitplanung, in: Verfassungs- und Verwaltungsprobleme der Raumordnung und Landesplanung: Vorträge und Diskussionsbeiträge des 33. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1965 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer 27), Berlin 1965, S. 93–108. Die durch das Grundgesetz garantierte Selbstverwaltungsfreiheit der Gemeinden unterliegt bei der Aufstellung sogen. Bauleitpläne (d. h. den Flächennutzungsplänen als vorbereitenden und den Bebauungsplänen als verbindlichen Bauleitplänen) einschränkenden Bindungen an die Planung größerer Zusammenhänge durch übergeordneter Planungsträger. Dies sind in Hessen die Landkreise, die kreisfreien Städte und das Land selbst. Die Bindung und das daraus resultierende wechselseitige Verhältnis relativiert die kommunale Planungshoheit und verpflichtet die Gemeinden „die Bauleitpläne der Raumordnung und der Landesplanung anzupassen“ (§1, Abs. 3 Bundesbaugesetz vom 23. Juni 1960).
  5. Zit. n. Rucht, Dieter (Hg.): Flughafenprojekte als Politikum: die Konflikte in Stuttgart, München und Frankfurt, Frankfurt/Main [u. a.] 1984, S. 212. Außer an Ministerpräsident Zinn richtete sich Oeser auch an den hessischen Innenminister Heinrich Schneider.
  6. Es wurden 44 Anfechtungsklagen gegen den ministeriellen Erlass des Planfeststellungsbeschlusses erhoben.
  7. Bickenbach, Frank / Kumkar, Lars / Sichelschmidt, Henning / Soltwedel, Rüdiger / Wolf, Hartmut: Ausbau der Flughafeninfrastruktur: Konflikte und institutionelle Lösungsansätze (Kieler Studien 335), Berlin [u.a.] 2005, S. 63.
  8. Vgl. Der Spiegel Nr. 44/1980, Ausgabe vom 27.Oktober, S. 51. Der planungsgemäße Ausbau des Flughafens mit der Startbahn West bedeutete einen massiven Holzeinschlag, dem bis zu drei Millionen zum Opfer fallen sollten. Das Forstamt Mörfelden-Walldorf bezeichnete im Herbst 1980 das Bauvorghaben als „perfektioniertes Waldvernichtungssystem“, das in dieser Form als „einmalig in der Geschichte des Rhein-Main-Gebietes“ anzusehen sei, und „die Wälder und damit den gesamten Lebensraum“ der Region bedrohe.
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