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Goethe-Preis der Stadt Frankfurt an Albert Schweitzer, 28. August 1928

Der im Oberelsass geborene Arzt und Philosoph Albert Schweitzer (1875–1965) nimmt in Goethes Geburtshaus am Großen Hirschgraben in Frankfurt am Main den in diesem Jahr zum zweiten Mal vergebenen Goethe-Preis der Stadt Frankfurt entgegen, nachdem im Vorjahr der Lyriker Stefan George (1868–1933) mit dieser Auszeichnung geehrt worden war1. Treibende Kraft hinter der Nominierung Schweitzers war der ständige Sekretär des Goethepreis-Kuratoriums Alfons Paquet (1881–1944), der den unter anderem für seine Tätigkeit als Tropenarzt und Hospitalgründer (Schweitzer errichtete 1913 in Französisch-Äquatorialafrika das Urwaldhospital Lambaréné) bekannten Arzt in Königsfeld (Schwarzwald) kennengelernt hatte. Der von Paquet über seine Nominierung in Kenntnis gesetzte Schweitzer deutet in einem Brief vom 26. Juli 1928 bereits Wesentliches zum Inhalt seiner für die Verleihung geplanten Rede an: „Am 28ten möchte ich nur mit einigen Dankesworten für die Ehre danken, da ich der erste Preisträger bin, der zur Feier erscheint und auch in Kürze sagen was mir Goethe ist und was mich von jeher an ihn gebunden hat.“

Begründung der Verleihung

Der von Paquet verfasste Text der Verleihungsurkunde lautet wie folgt:

Den von ihr gestifteten Goethepreis verleiht die Stadt Frankfurt dem von allen Konfessionen gerühmten Theologen und Religionsforscher, dem durch seine Kunst der Orgelspiels und seine Verkündigung Johann Sebastian Bachs weit über das deutsche Sprachgebiet hinaus wirkenden Musiker und Schriftsteller, der mit dem Entschluß des unmittelbaren Dienens die akademische Lehrtätigkeit verließ, um praktischer Arzt zu werden und auf entlegenem Posten den Kampf gegen Aussatz und Schlafkrankheit unter den Bewohnern des innerafrikanischen Urwalds aufzunehmen. Dem Menschenfreunde Albert Schweitzer aus Strassburg zum Hinweis auf das in den faustischen Wandlungen seines Lebens zum Ausdruck gebrachte Beispiel leidenschaftlicher Hingabe an die Ziele menschlicher Gültigkeit und Erhebung, auf seinen die geistige Erbschaft des humanitären Denkens weiterführenden Anteil an dem abendländischen Ringen um die Erfüllung der mit der Zivilisation gesetzten Gewissensaufgaben und auf den von ihm mit dem vollen Einsatz der Persönlichkeit im Geiste Goetheschen Denkens unternommenen Versuchs, die Kräfte der Welt- und Lebensbejahung in allen Menschen aufs neue wachzurufen.2

Die Verleihung des Frankfurter Goethe-Preises an Albert Schweitzer löst eine rege Nachfrage nach Schriften des Arztes, Theologen und Philosophen aus.

Schweitzers Festrede

Im folgenden kurze Auszüge der von Albert Schweitzer in Frankfurt gehaltenen Festrede3:
Sie, verehrte Herren vom Kuratorium, sind verantwortlich für den astronomischen Vorgang, daß ich armseliges Möndlein vor der gewaltigen Sonnenscheibe Goethes vorübergehe. Dafür tragen Sie vor der Welt die Verantwortung. Um Sie aber einigermaßen vor Ihnen selber zu entlasten, darf ich Ihnen sagen, daß dieses arme Gestirnlein sich selber schon in der Anziehungskraft Goethescher Sonne gravitierend erfaßt hat. [...]
Auf dem Felde der Philosophie war es, wo ich zuerst zu Goethe Stellung zu nehmen hatte. [...] Ziel aller Philosophie ist, uns als Denkenden begreiflich zu machen, wie wir in einem begreifenden und innerlichen Verhältnis zum Universum stehen und in den Anregungen, die sich für uns daraus ergeben, zu wirken haben. Die erste Philosophie (die der „großen spekulativen Systeme [...] eines Kant, eines Fichte, eines Hegel“) vermag den Menschen mit dem Universum zusammenzubringen, indem sie Natur und Welt vergewaltigt und den Menschen mit einer seinem Denken gebeugten Welt in Verbindung setzt. Die andere, die unscheinbare Naturphilosophie, läßt Welt und Natur, wie sie sind, und zwingt den Menschen, sich in sie hineinzufinden und sich in ihnen als ein geistig Triumphierender und auf sie Wirkender zu behaupten.
Wenn ich ganz verzweifelt war, da dachte ich daran, daß auch Goethe für seinen Faust als Letztes erdacht hatte, daß er dem Meere Land abgewönne, wo Menschen darauf wohnen und Nahrung finden könnten. Und so stand Goethe im dumpfen Urwald als lächelnder Tröster, als großer Verstehender neben mir
.“

Schweitzer gibt am Tag der Preisverleihung vor geladenen Gästen ein Orgelkonzert in der evangelischen Lukaskirche (Gartenstraße 67 im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen), die die größte Orgel der Stadt beherbergt.
(KU)


  1. Stefan George hatte den Goethepreis der Stadt Frankfurt allerdings zunächst abgelehnt, ihn dann nach öffentlichem Drängen aber doch angenommen. Der damals 59-jährige George empfing den Preis durch einen Mittelsmann.
  2. Zitiert nach Thomas Suermann, Albert Schweitzer als „homo politicus“. Eine biographische Studie zum politischen Denken und Handeln des Friedensnobelpreisträgers, Berlin 2012, S. 156.
  3. Abgedruckt in: Albert Schweitzer, Goethe. Vier Reden, 3., erw. Aufl., München 1950, hier zitiert nach: Deutsches Albert Schweitzer Zentrum (Hrsg.), „In der Anziehungskraft Goethescher Sonne“. Albert Schweitzers Verbindung zu Leben und Werk Goethes [Ausgabe 2008], Frankfurt am Main 2008, S. 2-4.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Goethe-Preis der Stadt Frankfurt an Albert Schweitzer, 28. August 1928“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/653> (Stand: 3.3.2021)
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