Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

200 militärische Sprengschächte auf Straßen und Brücken in Osthessen werden von unbekannten Pazifisten mit Beton zugeschüttet, 9.-12. Dezember 1983

In den Nächten vom 9. bis zum 12. Dezember schütten unbekannte Pazifisten, die im Umfeld der militanten autonomen Szene vermutet werden, rund 200 militärische Sprengschächte auf Straßen und Brücken in Osthessen mit Beton zu und machen sie damit unbrauchbar. Die vier bis sechs Meter tiefen Sprengkammern von etwa 60 Zentimeter Durchmesser, die durch einen 92 Zentimeter durchmessenden Deckel von 150 Kilogramm Gewicht abgedeckt werden, sind äußerlich kaum von herkömmlichen Kanaldeckeln zu unterscheiden. Lediglich eine mittig angebrachte Halteschraube ist als besonderes Kennzeichen zu erkennen. Sinn und Zweck der im Bereich des „Fulda Gap“ äußerst zahlreich in der Straßenverkehrsinfrastruktur verbauten Schächte ist die Schaffung einer Sperre, um den Vormarsch der auf das Gebiet der Bundesrepublik vordringenden Warschauer Pakt-Truppen zu behindern: im Verteidigungsfall würden die Sprengschächte mit eigens dafür vorgesehenen Sprengladungen versehen, um in Straßen und Eisenbahntrassen Unterbrechungen durch Trichtersprengungen zu erzeugen, die einen Vormarsch feindlicher Bodentruppen wenn nicht zu stoppen, so doch deutlich zu verlangsamen, und den eigenen Kräften größere Zeitfenster zum Rückzug zu verschaffen.1 Besonders brisant ist in diesem Zusammenhang, dass die im Bereich des „Fulda Gap“ gelegenen Sprengschächte im Rahmen des taktischen NATO-Konzepts „Barrior And Denial Plan“ („Sperr- und Verwehr-Plan“) falls erforderlich statt mit konventioneller auch mit atomarer Munition befüllt werden können. In Hessen und der ganzen Bundesrepublik lagern zu diesem Zweck etwa 300 bis 350 sogenannte Atomminen, deren korrekte Bezeichnung Atomic Demolition Munitions (oder kurz: ADM) lautet.
Die Aktion findet großen Widerhall bei zahlreichen hessischen Friedensinitiativen und weist auf historische Vorbilder zurück: bereits 1955 und 1956 hatten bei Krefeld und Neuss ähnliche Aktionen stattgefunden, bei denen ganz offen im Beisein von Pressefotografen Sprengschächte der NATO zugeschüttet oder mit Spitzhacken zerstört wurden.2
(KU)


  1. Die zur Bestückung der Schächte vorgesehenen Sprengmittel lagern in (unbewachten) Depotbunkern, den sogenannten Sperrmittelhäusern. Der Sprengmittelbedarf wird nach Vorgabe des Ausbruchradius' (in Schritten von 20 Zentimeter zwischen vier und 7,60 Metern) und der vorhandenen Bodenart („Leicht lösbar“, „Mittelschwer lösbar“, „Schwer lösbar“) kalkuliert.
  2. Beteiligt waren an diesen Sprenglöcher-Aktionen in aller Regel Aktivisten aus den Reihen der SPD und der KPD, vgl. auch Bildarchiv des DHM: Einwohner von Krefeld schütten eigenmächtig Sprengschächte zu, 14. Mai 1954 (Stand: 20.6.2012)
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„200 militärische Sprengschächte auf Straßen und Brücken in Osthessen werden von unbekannten Pazifisten mit Beton zugeschüttet, 9.-12. Dezember 1983“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4512> (Stand: 3.6.2021)
Ereignisse im November 1983 | Dezember 1983 | Januar 1984
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