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Blausäure-Attentat auf den Kasseler Oberbürgermeister Philipp Scheidemann, 4. Juni 1922

Der sozialdemokratische Oberbürgermeister von Kassel und ehemalige Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann (1865–1939) entgeht in Kassel (Stadtteil Wilhelmshöhe) leicht verletzt einem Blausäure-Attentat von Angehörigen der rechtsradikalen Terrorgruppe „Organisation Consul“. Die Attentäter werden später zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Die „Organisation Consul“ (O.C.), eine aus dem im Februar 1919 in Wilhelmshaven von Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt (1881–1971) aufgestellten Freikorps „Marine-Brigade Ehrhardt“ hervorgegangene Geheimorganisation, deren konspirative Aufstellung nach dem gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsch vom März 1920 erfolgte, ist Zentrum eines Netzwerks von weiteren paramilitärischen Vereinigungen. Die Mitglieder der O.C. rekrutieren sich zum überwiegenden Teil aus Offizieren der ehemaligen Reichswehr und der nach Kriegsende entstandenen Freikorpsverbände. Organisatorisch folgt die Geheimorganisation einem nach militärischen Gesichtspunkten gegliederten Kaderaufbau. Ansässig in München und nach außen hin als Holzhandelsgesellschaft getarnt, verfügt die O.C. reichsweit über eine beträchtliche Anzahl von Verbindungsleuten. Schätzungsweise greift die O.C. auf ein Mitgliederreservoir von rund 5.000 Personen zurück. Öffentliche Bekanntheit erlangt das extrem nationalistische und gegen die demokratische Weimarer Verfassung agierende Geheimbündnis durch gezielte, politisch motivierte Mordanschläge auf Repräsentanten der republikanischen Regierung. Als gesichert gilt ihre Verantwortung für die Morde an Matthias Erzberger (26. August 1921; 1919 bis 1920 amtierender Reichsfinanzminister), an Walther Rathenau (24. Juni 1922; Reichsaußenminister seit Januar 1922) sowie für den heute verübten Anschlag auf Philipp Scheidemann.

Eine bedeutende Rolle spielt die O.C. in Zusammenhang mit dem Aufbau der ersten SA-Verbände der NSDAP. Ein zwischen Hermann Ehrhardt, Ernst Röhm und Hitler getroffenes Kartellabkommen, dass Vorbild für den Aufbau von SA-Verbänden im ganzen Reich wird, sieht vor, dass Ehrhardt hoch dekorierte Weltkriegsoffiziere aus dem Kader der O.C. zum Aufbau der Sturmabteilungen abkommandiert. Die politische Schulung der Mitglieder dieser Brigaden obliegt der NSDAP, wobei vereinbart wird, das die von Ehrhardt abkommandierten Kämpfer entweder in die vor Ort existierenden Parteiverbände eintreten oder aber sich selbst an der Neugründung von Ortsverbänden der Nazipartei beteiligen (so zum Beispiel in Frankfurt am Main, wo am 26. Mai 1922 die Gründungsversammlung der ersten hessischen NSDAP-Ortsgruppe stattfand).
(OV/KU)

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Hebis-Schlagwort
Scheidemann, Philipp
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„Blausäure-Attentat auf den Kasseler Oberbürgermeister Philipp Scheidemann, 4. Juni 1922“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/557> (Stand: 4.6.2022)
Ereignisse im Mai 1922 | Juni 1922 | Juli 1922
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