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Opel-Arbeiter in Berlin-Plötzensee hingerichtet, 22. Dezember 1942

Der aus Breslau stammende Spengler Walter Rietig (1906–1942), seit 1929 Mitarbeiter des Opelwerks in Rüsselsheim, wird im Alter von 36 Jahren im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet. Rietig, in den Jahren 1926 bis 1928 Mitglied der SPD-Jugendorganisation „Sozialistische Arbeiterjugend“ wird damit zum Opfer einer Disziplinierungskampagne der NS-Behörden gegen „illegale Betriebsgruppen“ der Opelarbeiter, denen Walter Rietig vermutlich als Informant angehört. Durch ein abschreckendes Beispiel sollen die sich bei Opel in Rüsselsheim ausbreitenden konspirativen Aktivitäten von Kommunisten, aber auch sozialdemokratischer, bürgerlich-liberaler und christlicher Kräfte beendet werden.

Offenbar aus Rachsucht wird Walter Rietig im Sommer 1941 von einem Arbeitskollegen denunziert. Der 34-Jährige habe sich wiederholt kritisch über das regierende NS-Regime geäußert, so zum Beispiel den deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 als rechtsbrecherischen Überfall bezeichnet und die Aussicht auf einen Sieg der Wehrmacht in Zweifel gezogen. Zudem missbillige Rietig die nationalsozialistische Judenpolitik. Schließlich, so die Mutmaßung des Denunzianten, unterhielt Rietig verbotene Kontakte zu französischen Kriegsgefangenen. Er habe noch bei seiner Versetzung in eine neue Abteilung kritisch von den schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter gesprochen. Diese Anschuldigungen werden schließlich von zwei weiteren Denunzianten bestätigt.

Am 13. Juli 1942 wird Walter Rietig von der Gestapo Darmstadt zusammen mit einigen Kollegen im Opel-Werk verhört und dort verhaftet. Nach einem zweitägigen Verhör in Gewahrsam der Staatspolizei unterschreibt der Beschuldigte das daraus entstandene „Vernehmungsprotokoll“, und gesteht ein, alle ihm zur Last gelegten Äußerungen aus kommunistischer Überzeugung gemacht zu haben. Vor dem Haftrichter widerruft Rietig jedoch eine Woche später dieses „Geständnis“ und deutet an, zur Abgabe der Erklärungen gewaltsam gezwungen gewesen zu sein. Rietigs Vater gibt später in einem Gnadengesuch für seinen Sohn an, das man Walter physisch und psychisch gefoltert habe, um seine Aussage zu erzwingen. Rietigs Widerruf bleibt von den Darmstädter Richtern unbeachtet. Es ergeht Haftbefehl wegen „landesverräterischer Feindbegünstigung in Verbindung mit der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ und „unerlaubten Umgangs mit Kriegsgefangenen“.

Rietig wird am 23. Juli vom Gestapogefängnis in die Darmstädter Haftanstalt verlegt. Am 13. Oktober gelangt er in einem Sammeltransport nach Berlin, wo er im Untersuchungsgefängnis Alt-Moabit zwei Wochen auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof wartet. Im Verlauf der Beweisaufnahme werden nur die Belastungszeugen gehört. Damit stützt sich der Schuldspruch ausschließlich auf die Aussagen der Denunzianten, ohne das Gegenzeugen vernommen werden. Zwar lassen die Richter den Vorwurf des „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ fallen, doch wird Walter Rietig am 26. Oktober 1942 zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es ganz offen, dass die Verhängung der Höchststrafe „… aus Gründen der Abschreckung“ erfolgt sei. Nach Ansicht der Richter lag „die Gefahr […] nahe, dass das vom Angeklagten ausgestreute Zersetzungsgift unter der Belegschaft der Opelwerke weiterwirken und eine in ihrem Ausmaß nicht abzusehende Beeinträchtigung der Stimmung und des Arbeitswillens in diesem wichtigen Rüstungsbetrieb zur Folge haben werde.“1 Rietigs Hoffnung auf Milde und das Gnadengesuch seines Vaters werden am 3. Dezember 1942 kraft einer Entscheidung des Reichsjustizministeriums, keinen Gebrauch vom Begnadigungsrecht zu machen, hinfällig. Schließlich ergeht am 8. Dezember der Vollstreckungsauftrag. Rietig, der am Mittag seines Todestages von der bevorstehenden Hinrichtung erfährt, startet einen letzten Versuch, die für den Abend geplante Exekution zu verhindern. Sein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird noch am gleichen Tag abgelehnt. Am Abend des 22. Dezembers gegen 23:00 Uhr senkt sich das Fallbeil.
(KU)


  1. Zitiert nach Stolpersteine für Langen – Initiative gegen das Vergessen: Biographien Jüdischer Bürger in Langen: QRST: Rietig, Walter Chronik (eingesehen am 9.10.2012).
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Opel-Arbeiter in Berlin-Plötzensee hingerichtet, 22. Dezember 1942“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/851> (Stand: 22.12.2021)
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