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Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Eröffnung der documenta II in Kassel, 11. Juli 1959

In Kassel wird die zweite documenta vom hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn (1901–1976; SPD) eröffnet. Es ist der Anspruch der Ausstellung, eine repräsentative Schau der Kunst seit 1945 zu bieten, und damit direkt an die thematische Ausrichtung der 1955 abgehaltenen ersten documenta anzuschließen. Die documenta II steht wie bereits 1955 unter der organisatorischen und künstlerischen Leitung von Arnold Bode (1900–1977) und Werner Haftmann (1912–1999).

Finanzierung

Der Etat der documenta II beläuft sich auf 660.000 DM. Davon kommen jeweils 100.000 DM aus den Kassen des Bundes und des Landes Hessen; weitere 100.000 DM schießt die Stadt Kassel zu, die gleichfalls die Ausfallbürgschaft für ein etwaiges Defizit der Veranstaltung übernimmt. Die Spendenzusagen deutscher Industrieunternehmen beziffern sich auf rund 50.000 DM. 220.000 DM sollen aus den Eintrittsgeldern in die Kasse der Veranstalter fließen, zusätzliche Einnahmen erhofft man sich aus Beteiligungen am Katalogverkauf und Provisionen, die der documenta GmbH beim Verkauf ausgestellter Werke zustehen: die betroffenen Kunsthändler haben 15 % des Bruttopreises an die Austellungsleitung zu entrichten.1

Schwerpunkt Abstrakter Expressionismus

Inhaltlich befasst sich die documenta II mit der zeitgenössischen Kunst der Nachkriegszeit und geht dabei stark auf die abstrakte Kunst ein. Erstmals liefern dabei amerikanische Künstler, speziell die Vertreter des „abstrakten Expressionismus“, einen bestimmenden Beitrag, der allerdings aufgrund der teils riesigen Formate der gezeigten Werke (wie zum Beispiel im Jackson-Pollock-Saal) und der daraus resultierenden Platznot auch zahlreiche kritische Stimmen laut werden lässt.2

„The Bed“ bleibt in der Kiste

Die documenta hat 1959 nicht nur erstmals mit fundamentaler Kritik zu kämpfen, sondern zeitigt auch den ersten echten „Skandal“ in der Geschichte der Ausstellung: das 1955 entstandene, kontrovers diskutierte Bild „The Bed“ des Amerikaners Robert Rauschenberg, ist zwar Bestandteil des vom MoMA gesandten Konvoluts, wird jedoch nicht der Öffentlichkeit präsentiert, da es von Bode und Haftmann abgelehnt worden ist. Rauschenberg, vom Dadaismus und insbesondere den Arbeiten Kurt Schwitters inspiriert, setzt sich deutlich von den übrigen Werken der auf der documenta II vertretenen amerikanischen Expressionisten ab, und steht damit der von Haftmann vertretenen These einer „globalen Gültigkeit“ des Abstrakten Expressionismus entgegen. Seine Kombination von avantgardistischen Collage-Techniken und Action Painting, von Plastik und Malerei, kulminiert bei dem 181 x 80 cm großen „The Bed“ in der Verbindung der textilen Bestandteile eines Bettes und partiell großzügigem Farbeinsatz zu einer „Negation“ oder dem „Aufreißen“ der Idealität der Bildfläche. Das stoffliche Eigenleben, das die textile Materialität von „The Bed“ führt, tritt stark aus der Aura des „gemalten“ Bildes heraus. „The Bed“ – als Vertreter einer ganzen Reihe von Combined Paintings, die während der 1950er und 1960er Jahre entstehen – bezieht eine drastische Gegenposition zur sonstigen stilistischen Ausrichtung der documenta II, indem es unter anderem den abstrakt-expressionistischen Ausdruck aktionistischer Malerei à la Pollock von der Leinwand in eine profan-anrüchige Inszenierung von Realität verlegt.

Größe und Ausstellungsorte

Mit einer Anzahl von insgesamt 1.170 gezeigten Werken aus den Händen von 338 nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern übertrifft die documenta in diesem Jahr ihren Vorläufer aus dem Jahr 1955 statistisch um mehr als das doppelte. Die Verlagerung der erstmals in die Ausstellung integrierten Plastiken und Skulpturen vor die Ruine der Orangerie am nördlichen Ende der Karlsaue und der ebenfalls neu hinzugekommenen Druckgrafiken in das ebenfalls nahe der Karlsaue gelegene „Palais Bellevue“ (sonst Heimat der Städtischen Kunstsammlung) lässt die zweite Ausgabe der Kasseler Kunstschau nicht nur in konzeptioneller, sondern auch in räumlicher Hinsicht wesentlich weiter ausgreifen als ihre allein auf das Fridericianum (das nunmehr allein der Malerei vorbehalten bleibt) beschränkte Vorgängerveranstaltung im Jahre 1955. Arnold Bode hatte bereits bei den Planungen zur ersten documenta mit dem Gedanken gespielt, den weitläufigen Kasseler Innenstadtraum zu einem dekorativen Hintergrundpanorama der im Rahmen der documenta gezeigten Exponate zu machen (die Idee zur Einbeziehung der in Kassel immer noch reichlich vorhandenen Ruinenästhetik kam Bode 1953 beim Besuch einer Picasso-Ausstellung im Mailänder Palazzo Reale, das im August 1943 von britischen Fliegerbomben schwer beschädigt wurde). In der Nacht werden die in der Karlsaue aufgestellten Skulpturen von Lichtquellen angestrahlt und werfen ihre Schatten auf eigens dafür aufgestellte weiß gekalkte Trennwände.

Verwaltungsaufbau

Als Träger der unter dem Motto „Kunst nach 1945, Malerei – Skulptur – Druckgrafik“ stehenden documenta II fungiert nunmehr die eigens gegründete documenta GmbH (in den 1990er Jahren Umbenennung in documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH), deren Mehrheitsanteilseigner die Stadt Kassel ist.3 Oberstes beschließendes Organ der documenta-Gesellschaft m. b. H. ist die Gesellschafterversammlung. Daneben existiert ein Aufsichtsrat, der sowohl den Geschäftsführer als auch die künstlerische Leitung der documenta benennt.

Großformate der amerikanischen Expressionisten

Die großformatigen Bilder der auf der zweiten documenta zahlreich vertretenen amerikanischen Expressionisten sind erst wenige Wochen vor Ausstellungseröffnung eingetroffen und haben Arnold Bode und seine Mitarbeiter bei der improvisierenden Umgestaltung in letzter Minute zu harten Kompromissen gezwungen: eine ganze Reihe junger europäischer Künstler musste weichen und findet sich jetzt – dicht gedrängt und teils mit reduzierter Werkzahl – auf dem Dachboden des Fridericianums wieder (Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Räucherboden!“4). Das Museum of Modern Art in New York hatte die Bilder zwar fast schon „frei Haus“ aber ohne vorherige kuratorische Absprache angeliefert.5 Die zweite documenta in Kassel wird am 1. Oktober 1959 mit einer Bilanz von etwa 134.000 Besuchern enden.
(KU)


  1. Vgl. DER SPIEGEL 31/1959, 29.7.1959, S. 53.
  2. Vgl. zum Beispiel Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.7.1959, Feuilleton-Beilage Bilder und Zeiten, S. 1: Olympia der Kunst: Zur „documenta II – Kunst nach 1945“ in Kassel / Von Albert Schulze Vellinghausen: „Aber was sollen Baziotes, Gottlieb. Frankenthaler, was sollen Richard Pousette-Dart und Robert Rauschenberg anderes, als uns hier vorzuführen, daß man auch drüben mit Wasser kocht. Ihre Bilder vertreten den Geist versierter Kunstgewerbeschulen, sie drücken das Niveau und rauben unendlich viel Platz.“.
  3. Die Stadt Kassel hält 19.400 DM des auf das gesetzliche Minimum beschränkten Haftungsbetrags von 20.000 DM. Der verbleibende Restbetrag sollte ursprünglich zu je 100 DM auf sechs Künstler verteilt werden, was sich aber aus rechtlichen Gründen nicht verwirklichen ließ. Der aus Bönen in Nordrhein-Westfalen stammende Maler Fritz Winter hat schließlich die komplette Restsumme von 600 DM übernommen, vgl. DER SPIEGEL 31/1959, 29.7.1959, S. 53. 1961 wird das Land Hessen in die documenta GmbH eintreten und als Gesellschafter gemeinsam mit der Stadt Kassel das Unternehmen zu jeweils gleichen Teilen tragen.
  4. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.7.1959, Feuilleton-Beilage Bilder und Zeiten, S. 2.
  5. Vgl. Sprengel Museum Hannover: Kurt Schwitters Archiv: Symposion 2007: Beat Wyss, Der unzeitgemässe Schwitters: Wie viel Moderne bleibt danach?, S. 4 (eingesehen am 10.5.2012). Tatsächlich hat die Kasseler Ausstellungsleitung immerhin für Fracht und Versicherung des Transports von den USA nach Deutschland zahlen müssen – alle inneramerikanischen Logistik- und Verpackungskosten wurden vom MoMA übernommen, angesichts der übergroßen Formate zahlreicher Künstler eine erhebliche Summe. Gewissermaßen als „Gegenleistung“ überließ man es dem Leihgeber, über die Auswahl der einzelnen Beiträge zu entscheiden. Das Museum of Modern Art zeigte sich nicht knauserig schnürte ein repräsentatives Paket von insgesamt 97 Werken einschl. zahlreicher der erwähnten Großformate.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Eröffnung der documenta II in Kassel, 11. Juli 1959“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1109> (Stand: 11.7.2023)
Ereignisse im Juni 1959 | Juli 1959 | August 1959
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