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Zeugenaussage zur Zerstörung der Herborner Synagoge am 10.11.1938

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Zeugenaussage zur Zerstörung der Herborner Synagoge am 10.11.1938

Zerstörung der Synagoge in Herborn, 10. November 1938

In der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 wird die Synagoge in Herborn zerstört, die sich die jüdische Gemeinde der Stadt 1875 in einem einfachen Fachwerkhaus hinter dem Amtsgericht eingerichtet hatte. Aus zwei 1949 gemachten Zeugenaussagen ergibt sich etwa folgender Hergang: Der Zeuge Vollmer hört am 10. November (beide Zeugen geben irrtümlicherweise den 8. November an) gegen 17.00 Uhr, dass in anderen Städten Aktionen gegen Juden begonnen hätten und Synagogen in Brand gesteckt würden. Bei einem Gang zur Herborner Synagoge findet er an der Syngogentür ein Schild der Ortspolizeibehörde Herborn mit der Unterschrift des Bürgermeisters: „Dieses Gebäude steht unter polizeilichem Schutz und jedem Unbefugten ist der Zutritt verboten“. Gegen 20.30 Uhr hört der Zeuge beim Heraustreten aus seinem Haus, dass die Zerstörung der Synagoge in vollem Gange sei. An der Synagoge angekommen stellt er fest, daß der Garten vor der Synagoge voll Papierfetzen, zerrissenen Gebetbüchern und sonstigen Gegenständen lag. Das Dach war bereits abgedeckt, die Fenster eingeschlagen und die Inneneinrichtung zerstört oder lagen draußen im Garten herum. Der Fußboden war aufgerissen und die Gasbeleuchtung zerstört. Nur schemenhaft, so gibt der Zeuge an, konnte er die Personen am Tatort erkennen: Es trieben sich noch einzelne dunkle Gestalten auf dem Hof herum, die ich in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Der Zeuge selbst begibt sich daraufhin trotz der Ereignisse in die nächstgelegene Gaststätte.

Gegen 22.00 Uhr verlässt der zweite Zeuge Theodor Germann eine Gaststätte, wo er gehört hat, dass einzelne Männer die Synagoge zerstören. Am Seitenweg bei der Synagoge bleibt er stehen und sieht in der starken Dunkelheit Schatten von einer Gruppe Menschen, die sich unmittelbar vor der Synagoge aufhielten. Einzelne waren damit beschäftigt, aus dem Innern der Synagoge Bänke und Tische herauszutransportieren und zerschlugen sie vor derselben. Zwei Männer standen auf dem Dach und schlugen mit einer Kreuzhacke das Dach entzwei. Ich habe in der Dunkelheit, so sagt der Zeuge aus, keine Person erkennen können und auch keine an der Stimme erkannt. Es waren alles große und kräftige Männer, die durchweg Zivil trugen, die Hüte tief ins Gesicht gezogen hatten und die Mäntelkragen hochgeschlagen hatten. Es wurde kein Licht gemacht und auch kein Kommando gegeben. Ein Zeichen dafür, daß die Sache vorher gut organisiert gewesen ist.

Der erstgenannte Zeuge gibt an, er habe gegen 24.00 Uhr in der Gaststätte gehört, dass die Synagoge brenne. Dort angekommen sieht er, dass alles Brennbare (Türen, Fenster, Bänke, Pult und dergleichen) auf das Nachbargrundstück getragen worden ist und jetzt in hellen Flammen steht, während die Synagoge selbst offenbar nicht angezündet worden ist. Und er erklärt: Ich stand etwa 60 m vom Feuer entfernt und konnte noch sehen, daß sich einige Personen in Richtung nach dem Schießberg entfernten.

Die Ereignisse an der Synagoge in Herborn am 10. November 1938 dürften niemandem in der Stadt verborgen geblieben sein. Dennoch berichtete die Dill-Zeitung (Dillenburg) nicht über die Zerstörung des jüdischen Gotteshauses. Die Zeugenaussagen wurden 1949 in Zusammenhang mit einem Strafverfahren gegen einen Beschuldigten gemacht. Der Herborner Stadtarchivar Rüdiger Störkel hat nachweisen können, dass die Ereignisse entgegen der Zeugenaussagen jedoch nicht am 8., sondern am 10. November 1938 stattgefunden haben.
(OV)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Zerstörung der Synagoge in Herborn, 10. November 1938“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/3398> (Stand: 10.11.2020)
Ereignisse im Oktober 1938 | November 1938 | Dezember 1938
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