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Der Künstler Hans Haacke erstellt ein statistisches „Besucher-Profil“ der documenta V, Juli 1972

Der aus Köln stammende Aktionskünstler Hans Haacke (geb. 1936) führt während des ersten Ausstellungsmonats der documenta V in Kassel mithilfe eines von ihm selbst konzipierten Fragebogens eine nicht-repräsentative Befragung der documenta-Besucher durch. Die Ergebnisse werden vom Künstler anschließend als eigenständiges „Kunstwerk“ im Rahmen der documenta gezeigt. Rund 20 Prozent der Besucher beteiligen sich mit Auskünften zu ihrer Person und Meinung an der Umfrage. Die statistisch ausgewerteten Ergebnisse der (künstlerischen, nicht demoskopischen) Feldstudie ergeben zum Beispiel, dass etwa 26 % der Besucher Schüler und 29 % Studenten sind. Der sozialen Schichtung nach handelt es sich weiterhin bei jeweils sechs Prozent der zahlenden documenta-Gäste um mittlere Angestellte und um „freie, intellektuelle Berufe“. Hausfrauen und Lehrlinge machen jeweils drei Prozent der Befragten aus; auf 14 % der abgegebenen Fragebögen (typografischer Offsetdruck im Format 30,5 x 21 cm, unter der Überschrift: „Diese Fragen und ihre Antworten gehören zum documenta-Besucherprofil von Hans Haacke, einer Arbeit, die während der documenta 5 entsteht“) werden keine Angaben zum Beruf gemacht. Eine erstaunliche, schrittweise Staffelung zeigt die Altersstruktur der Besucher: die Pyramide bewegt sich dabei von 33 % der unter 20-jährigen und 30 % der Altersgruppe zwischen 20 und 25 Jahren bis hin zu nur noch drei Prozent, die angaben, älter als 55 zu sein. Der starke jugendliche Besucheranteil erklärt auch, warum sich das anhand der erhaltenen Auskünfte ermittelte Durchschnittseinkommen der Umfrageteilnehmer auf gerade einmal 700 DM netto im Monat beläuft. Nach ihrer politischen Ausrichtung befragt, bezeichneten sich 51 % als SPD-Wähler, lediglich elf Prozent zählten sich zur CDU-Klientel, zehn Prozent zur FDP und acht Prozent zur DKP. Eine direkt auf die Meinung des Publikums zur documenta abzielende Frage findet sich lediglich unter Punkt 20 auf dem Teilnahmebogen: eine Subventionierung des Kasseler Kunstspektakels durch die öffentliche Hand befürworten demnach 62 % (darunter mehrheitlich SPD- und FDP-Wähler sowie vor allem Personen mittleren Alters), 23 % lehnen eine solche Finanzierung durch Steuergelder ab.1
Der seit 1963 in New York lebende Haacke hat in den Vereinigten Staaten bereits zu Beginn der 1970er Jahre vergleichbare Besucherbefragungen durchgeführt, so zum Beispiel 1970 im Museum of Modern Art. Eine Befragung im New Yorker Solomon R. Guggenheim-Museum war allerdings aufgrund des explizit politischen Charakters der damit einher gehenden Fotoausstellung Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1, 1971 spektakulär von der Museumsleitung abgesagt worden.2
(KU)


  1. DER SPIEGEL 35/1972, 21.8.1972, S. 104-106: Documenta: Jung, arm, links (eingesehen am 14.5.2012).
  2. Vgl. DER SPIEGEL 18/1971, 26.4.1971, S. 196 f.: Affären / Haacke-Ausstellung: Fehler im System (Stand: 14.5.2012).
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Der Künstler Hans Haacke erstellt ein statistisches „Besucher-Profil“ der documenta V, Juli 1972“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4445> (Stand: 15.8.2021)
Ereignisse im Juni 1972 | Juli 1972 | August 1972
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