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Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Ansiedlung der Neuwerk-Gemeinschaft Sannerz, 21. Juni 1920

Der evangelische Theologe Eberhard Arnold (1883–1935) siedelt am 21. Juni 1920 auf dem Paulschen Hof in Sannerz wenige Kilometer von Schlüchtern gemeinsam mit seiner Frau Emmy und deren Schwester Else von Hollander, um eine religiös motivierte Lebenskommune zu gründen. Neben Arnold sind Otto Herpel (1889–1925), Max Zink und Georg Femmig weitere führende Köpfe der Neuwerksbewegung.1 Getragen von einer sich um Arnold gebildeten Gruppe der „Neuwerk-Bewegung“, entsteht auf dem dort gepachteten Gelände der „Bruderhof Sannerz“.2 Neben der Bewirtschaftung des Landes, der Arbeit in der Gärtnerei und in dem zur Siedlung gehörenden Verlag, der neben Büchern auch die Zeitschrift „Neues Werk“ herausgibt3, gehört die Aufnahme von Waisenkindern und deren Betreuung zu den zentralen Tätigkeitsbereichen der Siedlungsbewohner. Einerseits zurückgehend auf die in Nordamerika autonom als „Produktions- und Konsum-Kooperative“4 lebenden Christen, andererseits beeinflusst von der völkischen Jugendbewegung, bilden christlich-messianische Vorstellungen den ideengeschichtlichen Überbau, der in einer – sich auf christlich motivierte Brüderlichkeit berufenden – Lebensweise Ausdruck findet. Das Ziel einer kompromisslosen Umsetzung der Bibel im Diesseits als quasi moderne Form der christlichen Urgemeinde wird mittels Fernhalten von Privateigentum, Geld und juristischen Vereinbarungen aus dem Siedlungsleben zu erreichen versucht. Nach einer überwundenen ökonomischen und internen Krise, die den Auszug eines Teils der Sannerzer in die neu gegründeten Habertshof zur Folge hat, steigt die zwischenzeitlich auf acht Erwachsene und einige Kinder zusammengeschrumpfte Sannerzer Gruppe zusehends an, sodass die Gründung einer Schule, die Errichtung eines neuen Verlages mit Druckerei folgen. Neben den Kindern der Siedlungsbewohner leben zeitweilig an die 20 Waisenkinder in der Siedlung. Darüber hinaus wird eine Jugendherberge eingerichtet, in der Jugendliche leben, die teilweise mit in der Kommune arbeiten. Nach dem kündigungsbedingten Umzug nach Veitsteinbach im Jahr 1927 erfolgt der Anschluss an die in Nordamerika lebenden „Hutterischen Brüder“ im Jahr 1930. Drei Jahre später werden die Schule, das Kinderheim und der Verlag von den Nationalsozialisten geschlossen. Als der „Bruderhof“ vier Jahre später zwangsweise aufgelöst wird, ist bereits ein Großteil der mittlerweile auf 150 Siedler angewachsenen Gruppe nach England emigriert.5
(FW)


  1. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.10.1986, S. 54: Schmalhans war Küchenmeister, aber er kochte mit Liebe; Webangebot des Bruderhofs, Stand: 23.3.2015.
  2. Vgl. Conti, Abschied vom Bürgertum, S. 126 f.
  3. Vgl. Kuhnert, Schmalhans war Küchenmeister.
  4. Feuchter-Schawelka, Siedlungs- und Landkommunebewegung, S. 233.
  5. Vgl. Conti, Abschied vom Bürgertum, S. 126-128.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Ansiedlung der Neuwerk-Gemeinschaft Sannerz, 21. Juni 1920“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5212> (Stand: 21.6.2022)
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