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Parteitag der Christlich-Sozialen Partei in Wetzlar, 8. - 9. Oktober 1900

In Wetzlar findet der 4. Parteitag der Christlich-Sozialen Partei (CSP) statt. Die bis zum 9. Oktober dauernde Versammlung steht unter der Leitung des evangelischen Theologen Adolf Stoecker (1835–1909). Der ehemalige Hofprediger und jetzige Reichstagsabgeordente Stoecker, der sich in großem Umfang auch als antisemitischer Agitator betätigt, erläutert in seiner Funktion als Parteivorsitzender der CSP die Position der Partei zur Tätigkeit des Reichstags:

Besonders zustimmend äußert er sich zur Flottenvorlage, deren Notwendigkeit er eingehend darlegt. Man sei dem Kaiser zu größtem Danke verpflichtet, daß er und die Regierung auf eine Verstärkung der Flotte gedrungen habe. Auf diesem Gebiete liege noch eine große Zukunft für Deutschland. [...…] Für ein Reich wie Deutschland ist Macht Leben. Man soll gewiß die Macht nicht anbeten. Aber es ist nun einmal ein großer Wettbewerb unter den Nationen, und wenn sich die Mächte untereinander fürchten, so ist es doch gewiß besser, andre fürchten sich vor uns, als wir vor ihnen.

Ausgehend von der Vorlage des sogenannten Unsittlichkeitsgesetzes1 stellt er fest,

es liege doch ein großer Notstand darin, daß in weiten Kreisen der Respekt vor den Heiligtümern und der Sittlichkeit des Volkes fehle. Da müsse sich das Volk selber helfen. Ein Gesetz könne ja gewiß manches thun, aber doch nicht alles. Daher sei es nötig, daß eine Bewegung wie die christlich-soziale auf dem Plane sei, die der parlamentarischen Thätigkeit zu Hilfe komme und den guten Geist des Volks wieder wachrufe. Alles Gerede von Weltmacht nütze nichts, wenn nicht die innere Welt des Gewissens rein und stark erhalten bleibt.

Der frühere Herausgeber der „Allgemeinen konservativen Monatsschrift für das christliche Deutschland“ Dietrich von Oertzen (1849–1935) spricht in seinem Vortrag von der Notwendigkeit der Christlich-sozialen Partei im öffentlichen Leben. Wie in England, so sei auch in Deutschland der christlich-soziale Gedanke dazu berufen,

die herrschenden sozialen Gegensätze zu überbrücken und die Sozialdemokratie zu überwinden. Es werde den Christlich-sozialen vorgeworfen, daß sie Arbeiter und Arbeitgeber miteinander verhetzen. Das sei unwahr und Unsinn. Wer die Christlich-sozialen und ihre Thätigkeit kenne, müsse zugeben, daß diese alles thun, um das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so gut und freundlich wie nur möglich zu gestalten. Die christlich-soziale Partei wolle ausgleichen und versöhnen und so die klaffenden Gegensätze der Zeit mildern. Sie übe nicht eine einseitige Thätigkeit, sondern wolle alle Berufe und Stände mit ihrer Fürsorge umfassen.
(OV/KU)


  1. Als sogenannte Lex Heinze war eine bereits zu Beginn der 1890er Jahre auf Initiative des Kaisers angestoßene Gesetzesvorlage zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches im Februar des Jahres in zweiter Lesung durch den deutschen Reichstag angenommen worden. Gegenstand des Gesetzes ist in erster Linie ein Verbot der öffentlichen Darstellung „unsittlicher“ Handlungen in Kunstwerken, Literatur und Theateraufführungen. Darüber hinaus wird durch die „Lex Heinze“ (die ihren Namen nach dem Berliner Zuhälter Gotthilf Heinze erhalten hat, der Ende wegen eines 1887 begangenen Totschlags verurteilt worden war) der Straftatbestand der Zuhälterei eingeführt. Die Annahme der Gesetzesvorlage rief in der Öffentlichkeit starken Widerstand hervor, insbesondere seine die Zensur von Kunst und Theater betreffenden Paragraphen.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Parteitag der Christlich-Sozialen Partei in Wetzlar, 8. - 9. Oktober 1900“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/257> (Stand: 26.11.2022)
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